Ein Moment fürs Leben. Roman
Wahrheit spielte keine Rolle. Warum war sie dann bei allen anderen wichtig?
Ich nahm mein Handy und sah mir meine Fotos an. Bei dem von Dons Augen hielt ich inne, studierte sie, zoomte sie ran und wieder weg, erst das eine, dann das andere, wie eine Besessene, sah die türkisen, fast grünen Flecken in ihrem Blau, und speicherte sie schließlich als Bildschirmschoner. Es sah ziemlich beeindruckend aus, als das Handy neben mir auf dem Schreibtisch lag und sie zu mir emporstarrten.
»Was lächelst du denn so?«, fragte mein Leben, so plötzlich, dass ich heftig zusammenzuckte.
»Was? Mann, hast du mich erschreckt. Du kannst dich doch nicht einfach so an mich ranschleichen.«
»Ich
sitze
hier. Was hast du gerade gemacht?«
»Oh«, begann ich und wollte gerade sagen: »Nichts«, aber dann sah ich auf meinen Bildschirmschoner hinunter und wollte nicht mehr lügen. »Ich hab mir nur ein paar Fotos angesehen.«
Zufrieden, dass ich die Wahrheit sagte, beschloss mein Leben, eine Pause zu machen und in die Küche zu gehen. Graham sah sich um, vergewisserte sich, dass wir anderen an unseren Schreibtischen sitzen blieben, und folgte meinem Leben. Ich behielt die Tür im Auge und wartete, dass einer von beiden wieder herauskam, aber als fünf Minuten verstrichen waren, und immer noch nichts passierte, begann ich mir Sorgen zu machen. Mein Leben war entschieden zu lange mit Checker in der Küche. Hoffentlich war er nicht einem von dessen Flirtangeboten zum Opfer gefallen – ein Gedanke, der nicht wahr sein konnte, mir aber trotzdem ein flaues Gefühl im Magen machte. Schließlich ging ich zu dem Aktenschrank, den Louise lauschstrategisch günstig direkt neben die Küchentür gestellt hatte, zog eine Schublade auf und tat so, als suchte ich etwas.
»Dann hat sie also gelogen, was Spanisch angeht«, sagte Graham.
»Japp«, bestätigte mein Leben. Es klang, als würde er etwas essen, und ein scharrendes Geräusch war zu hören. Bestimmt kratzte er einen Joghurtbecher aus. Der Joghurt gehörte sicher Louise, sie machte das Weight-Watchers-Programm und zog sich den ganzen Tag Joghurt rein, der mehr Zucker enthielt als jeder Donut.
»Hm. Und wegen dem Rauchen auch.«
»Japp«, sagte mein Leben wieder. Kratz, kratz, kratz.
»Sie wissen bestimmt, dass ich rauche«, sagte Graham.
»Nein, das wusste ich nicht.« Mein Leben klang nicht besonders interessiert.
»Manchmal gehen wir nämlich zusammen eine rauchen, ich und Lucy«, berichtete Graham mit gedämpfter Stimme. Natürlich redete er nicht deshalb so leise, weil es um unsere geheime Raucherecke ging, sondern weil Männer über sexuelle Dinge, die sie getan hatten oder – noch häufiger – die sie sich wünschten, einfach immer so leise redeten.
»Zur Treppe beim Notausgang«, sagte mein Leben in normaler Lautstärke, was jedem, der nicht Graham war, klargemacht hätte, dass er keine Lust hatte, leise zu reden, und dass ihm außerdem das Thema nicht gefiel.
»Ich dachte, dass sie vielleicht was für mich übrighat. Dass sie vielleicht so tut, als würde sie rauchen, weil sie gern in meiner Nähe ist.« Jetzt brachte Graham auch noch ein anzügliches Kichern hervor. Anscheinend hatte er völlig vergessen, dass er es war, der mir folgte, wenn wir rauchen gingen.
»Meinen Sie?« Kratz, kratz.
»Na ja, bei der Besetzung hier ist es schwierig, sich näherzukommen. Aber was glauben Sie? Hat Lucy schon mal irgendwas über mich erzählt? Sie müsste es ja nicht mal aussprechen, Sie würden es bestimmt auch so wissen, oder nicht? Kommen Sie, Sie können es mir ruhig verraten.«
»Ja, ich weiß so ziemlich alles«, sagte mein Leben. Es ärgerte mich, dass Checker über mein Leben Bescheid wusste – es reichte doch wirklich, dass er sich ständig an mich ranschmiss, da musste er sich doch nicht auch noch bei meinem Leben einschleimen.
»Was glauben Sie? Will sie es?«
»Will sie was?« Abrupt verstummte das Kratzen. Der Joghurt war vertilgt, die Hemmschwelle übertreten.
»Sie hat mich ein paarmal abblitzen lassen, da will ich Ihnen gar nichts vormachen, aber das Problem ist, ich bin verheiratet, und so was ist wohl nicht Lucys Ding. Trotzdem hab ich immer noch das Gefühl, als wäre da was … Hat sie denn irgendwas in dieser Richtung gesagt?«
Jetzt war ein Quietschen zu hören – der Mülleimerdeckel wurde angehoben. Dann ein Rascheln – der Müllbeutel – und ein leiser Aufprall – der Joghurtbecher landete im Mülleimer. Kurz darauf ein Klirren in der
Weitere Kostenlose Bücher