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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Umstand, daß Peitz zur Zeit seiner Verhaftung angetrunken war. Bei seinem Gepäcke befand sich eine Literflasche Kognak, wovon fast die Hälfte fehlte. Er konnte verschlafen haben. Viel Wahrscheinlichkeit hatte diese Annahme allerdings nicht für sich.«
    »Was war dieser Henry Peitz eigentlich für ein Mensch?« fragte Doktor Velten aus seiner weitgestreckten Verteilung vom Diwan herüber.
    »Ja – physiognomisch genommen ein in unserer Zeit und in den Großstädten gar nicht seltener Typ. Einer von jenen Leuten, die sehr rasch, fast möchte ich sagen auf dem Weg eines Kurzschlusses, in eine gutsitzende und ihnen entsprechende Form gefunden haben, vielleicht mit vierzehn oder fünfzehn Jahren schon, und also auch in die passende Art sich zu kleiden, zu bewegen, zu reden. Peitz war unstreitig elegant, in sich formal abgeschlossen, immer gleichbleibend in diesem Sinne, auch wenn er sich fürchterlich ärgerte – und von der Seite haben ja wir ihn ausgiebig kennengelernt. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, daß jemand von dieser Art die eigentlichen Dumpfheiten und Traurigkeiten der Knabenzeit jemals erlebt hat, ich meine die eigentümlich plumpen Zustände eines gelenken Körpers, die bei weniger glücklich veranlagten Leuten in jenem Lebensalter so unglückselig auftreten. Er war überhaupt ganz zweifellos ein harmonischer Charakter und ist sicherlich nie mit sich selbst zerfallen gewesen. Solche Leute neigen bekanntlich zur Kritik, haben ein starkes Rechtsgefühl, sonderlich in bezug auf ihre eigenen Rechte, und stellen gerne Forderungen an die Umwelt. Fühlen sie irgendwo sich schwach – und übermäßige Rohkraft haben diese Leichten, Schlanken, Blonden nicht, wohl aber Mut – dann neigen manche von ihnen sehr dazu, beleidigt zu sein, das heißt sie nützen gerne die hierfür sich bietenden Anlässe, weichen empört und etwas steif zurück und genießen dabei in aller Stille die Erhöhung ihres eigenen Wertgefühls durch das Unrecht, welches ihnen zugefügt wird. Peitz pflegte bei den Verhören meistens schief auf dem Sessel zu sitzen, mit steif und nach seitwärts zurückgelegtem Oberleib, ohne sich bequem anzulehnen: es war das allein schon so, als empfinde er jede Frage als persönliche Beleidigung, vor welcher er entrüstet zurückwich; oder aber als fürchte er, beleidigt zu werden, und lege den Oberkörper zurück, um die Distanz zwischen sich und dem zudringlichen Frager im voraus noch um ein weniges zu vergrößern. Zu alledem paßte seine Physiognomie ganz ausgezeichnet: die äußeren Augenwinkel lagen bei ihm tiefer als die inneren, also umgekehrt wie etwa bei einem Japaner; und außerdem hatte er jene Form des an den äußeren Augenwinkeln etwas überhängenden Lides, die man ›Epikanthus‹ nennt. Ich bin fest überzeugt davon, daß wir, wenn wir ihm wirklich unrecht getan haben sollten, jedenfalls das Verdienst für uns in Anspruch nehmen können, seinen Charakter noch schärfer herausgearbeitet zu haben für die folgenden Jahre seines Lebens, zumindest dessen ›beleidigte‹ Note. Peitz keifte geradezu bei den Verhören und sprach vornehmlich von dem Schaden, der ihm durch diesen Zwischenfall erwachse, an seinem Ruf, an seinem Kredit, sonderlich aber durch den Terminverlust bei einer für ihn sehr wichtigen Streitsache vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte, die für den 26. Juli angesetzt sei; und letzteres stimmte genau, wie sich zeigte. Peitz hatte in Berlin ein größeres Fachgeschäft für Elektrogeräte. Er war weder vorbestraft noch übel beleumundet. In seinem Ärger drohte er mit allen möglichen Maßnahmen, die er zu ergreifen gedenke, und mit Beschwerden, die er einbringen würde – obwohl wir ihn ohnehin wie ein rohes Ei behandelten – aber das machte natürlich der Polizei sehr wenig Eindruck. – Die Belastungsmomente gegen ihn reduzierten sich am Ende nur mehr auf sein Verhalten, als ich den Coupeschlüssel verlangt hatte . . .«
    »Ausgedünsteter Coupeschlüssel«, warf Herr von Hohenlocher ein, der sich für den Rest des Abends darauf verlegt zu haben schien, auf diesem Worte herumzureiten.
    »Gut also: der ausgedünstete Coupéschlüssel. Wir mußten uns aber gestehen, daß die Begründung, welche Henry Peitz für seine damalige Weigerung gab, vortrefflich zu ihm paßte, so gut wie seine Handbewegungen, sein schiefes Sitzen, sein ›Epikanthus‹... er sagte nämlich einfach: aus Ärger und weil er vorausgesehen – Herr von Hohenlocher würde sagen, richtig

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