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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Zum zweiten: wenn die Beute aus dem Zuge ausgeworfen worden war, bei irgendeinem Merkpunkte der Strecke – ein gar nicht seltener Fall! – dann bestand für den Verbrecher die Gefahr des Verlustes durch einen unerwünschten Finder, dem sie ganz oder teilweise in die Hände fallen konnte, teilweise dann, wenn eine Ausstreuung eingetreten war, durch Platzen des Paketes etwa oder dergleichen ... Nun erwägen Sie einmal die Fülle der Möglichkeiten für das Verschwinden einzelner oder aller Stücke in den natürlichen Unebenheiten des Bodens, noch dazu auf einer waldigen Gebirgsstrecke! Der nächste Regenguß konnte hier ein übriges tun. Selbstverständlich wurde die Sache in allen an der Strecke und besonders an der Gebirgsstrecke liegenden Orten bekanntgemacht, auch bemühten sich die Bahnorgane nach Kräften. Umsonst, vielleicht sogar zu spät. Man muß sich auch in die Zeit, in dieses Jahr 1921 zurückversetzen: es waren die schlimmsten Jahre nach dem Kriege und die Grundlagen der Redlichkeit zutiefst erschüttert. Allerdings gab es eine ausgesetzte Belohnung zu gewinnen, jedoch reichte diese freilich nicht an den Wert des Schmuckes heran. Alles in allem: das völlige Verschwinden der Beute bleibt für mich, angesichts der sonstigen Unklarheit des Falles, noch der am wenigsten erstaunliche Umstand.«
    »Nun zu Peitz! Zu Peitz!« rief Herr von Hohenlocher.
    »Ja, nun kommen wir zu Peitz«, setzte Doktor Inkrat fort. »Ich wollte nur ein paar Streiflichter werfen auf die Einzelheiten und Schwierigkeiten einer solchen Untersuchung, und das sind bei weitem noch nicht alle. – Ich sagte früher, daß wir genötigt gewesen seien, die ganze Strecke in Betracht zu ziehen. Hier waren nun freilich die Angaben der diensthabenden Schaffner wichtig, jedoch blieb auch dieser Ertrag ein spärlicher. Das Abteil, in welchem sich Louison Veik befand, war als sogenanntes ›Damenabteil‹ gekennzeichnet, durfte also von männlichen Fahrgästen nicht betreten werden. Fräulein Veik hatte sich sogleich, nachdem der Zug den Stuttgarter Bahnhof verlassen hatte, dahin zurückgezogen. Eine Viertelstunde später betrat der Schaffner das Damencoupe, in welchem sich nur dieser eine weibliche Fahrgast befand, und prüfte den Fahrtausweis. Er war in der Tat der letzte Mensch, welcher die Lebende sah. Sie erschien von da ab nicht mehr auf dem Gange. Die Vorhänge waren fest zugezogen. Auch stieg während der Nacht keine Dame ein, welche sich in das nur für weibliche Fahrgäste vorbehaltene Abteil begeben hätte. Louison Veik blieb also allein. Ob sie ihr Abteil von innen verriegelt hatte, vermochten die Beamten nicht anzugeben. Da die Fahrkarte gesehen war, bestand kein Anlaß mehr, den Schlaf der Reisenden zu stören. Das Licht wurde von ihr jedoch nicht auf ›matt‹ geschaltet, es blieb hell. Das Abteil, in welchem Louison Veik reiste, war das erste in der Reihe, grenzte also nur auf einer Seite an ein anderes Coupe, auf der anderen Seite befand sich der zur Plattform erweiterte Gang. Einen Schrei oder ein verdächtiges Geräusch hatte niemand gehört, weder ein Fahrgast noch jemand von dem Personal. Die Nachbarn des Fräulein Veik waren mehrere junge Leute, die tranken und lachten; diese fuhren nicht weit, um Mitternacht etwa waren alle ausgestiegen, und von da ab blieb dieses Abteil leer. Im nächsten saß Henry Peitz, außer ihm noch ein Kaufmann und ein Regierungsrat aus Berlin. Diese drei Personen kannten einander nicht, knüpften auch keine Unterhaltung an. Wichtig war, zu erfahren, ob und wann Peitz das Abteil verlassen habe; da aber die beiden anderen Mitreisenden geschlafen hatten, war auch hierüber eine sichere Auskunft nicht zu erlangen. Einmal, etwa um zwei Uhr nachts, ganz ungefähr, soll Peitz hinausgegangen sein, offenbar auf die Toilette. Ob er irgendeinen Gegenstand in der Hand gehabt oder unter dem Rocke verborgen getragen oder seinem Gepäck entnommen habe, darüber waren die beiden Herren nicht in der Lage etwas anzugeben. Peitz hatte den einen Fensterplatz innegehabt, der Regierungsrat lag gegenüber auf der, im Sinne der Fahrtrichtung, vorderen Bank, und der Dritte auf derselben Seite wie Peitz in der Ecke an der Gangseite. Von ihm stammte die Angabe, daß Peitz einmal draußen gewesen sei, weil dieser über seine Beine hatte steigen müssen. Was nun Peitz selbst angeht, so entlastete ihn ja am meisten die Tatsache seines Nochvorhandenseins in Erfurt. Allerdings wurde dieses Entlastungsmoment gemindert durch den

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