Ein Mord den jeder begeht
Identität der Toten konnte übrigens sofort ermittelt werden, da sich ihr Reisepaß fand. Sie kam aus dem Auslande, von Zürich, befand sich also schon seit vier Uhr nachmittags im Zuge und besaß einen Fahrtausweis bis Leipzig, wo sie zum Morgen von den Eltern erwartet worden war. Uns oblag nun freilich die Pflicht, diese zu verständigen; darüber hinaus galt es sogleich, eine Reihe wichtiger Umstände in Erfahrung zu bringen. So erfuhren wir von dem Schmuck, welcher sich in der Kassette befunden hatte. Er war von uns gleich vorausgesetzt worden, das ganze Bild bot sich ja unzweideutig als das eines Raubmordes dar.«
Ungefähr an dieser Stelle der Erzählung Inkrats kam Castiletz so weit, seinen eigenen augenblicklichen Zustand zu begreifen: er war betrunken, das war alles, er vertrug ja nichts. Sehr einfach! Daher das Gefühl einer seltsamen Lähmung, das ihn gefangen hielt, wobei alles, was er hier hörte, immer dichter an ihn herandrang, ja gewissermaßen über ihn herfiel. Es war im Augenblicke zu verwickelt, um geordnet werden zu können; daß es jedoch geordnet werden mußte, das stand außer Frage: und zwar auf das gründlichste. Der Weg zu dieser Ordnung führte über ein Heft, das sich im Reisekoffer befand – ja, diese unklare Vorstellung brachte ihm jetzt eine gewisse Erleichterung. Man brauchte das schließlich nur zu holen. Jedoch – wie ein Träumer aus dem Traum – erwachte er jetzt zu einer größeren Klarheit und Festigkeit dieser vor ihm nebelnden Bilder: und im selben Augenblicke erwiesen sie sich als unsinnig, als jeder Wirklichkeit bar, und nicht als hoffnungsvoll.
»Bei dem Gepäck des Henry Peitz befand sich eine Tasche mit Golfschlägern. Die Ärzte sprachen sich dahin aus, daß ein Instrument dieser Art möglicherweise als verwendetes Mordwerkzeug in Frage kommen könne; jedoch neigten sie eher dazu, irgendein kürzeres und plumperes Schlagwerkzeug anzunehmen. Die Lage der Toten auf der rückwärtigen Polsterbank des Abteils, auch unter der Annahme, daß sie im Todeskampf und weiter durch das Schütteln der Fahrt verändert worden sei, sprach doch zusamt der Beschaffenheit der Kopfwunde für einen Angriff von gerade gegenüber, ja, eher noch von links seitwärts, also etwa von dem zweiten Fensterplatze her. Nun zeigten die Versuche, welche man durchführte, daß hier mit einem Gegenstande von der Länge des Golfstocks kaum mit genügender Kraft ausgeholt werden könne, unter anderem schon wegen der vorragenden Gepäcknetze. Die Untersuchung der Stöcke zeigte keinerlei Blutspuren – die allerdings unschwer zu entfernen gewesen wären. Die Stöcke waren auch vollzählig; Sie wissen, daß man zum Golf eine Reihe verschiedenartiger braucht. Es fehlte, soviel man sah, keiner. Alle jedoch, ohne Ausnahme, waren an den Schlagflächen stark mit Kohlenstaub oder Ruß bedeckt. Nun, das war bei der Kopfverletzung der Ermordeten ganz ebenso der Fall.«
»Ich hätte ihn daraufhin hängen lassen«, sagte der Baurat gemütlich, »der Einfachheit halber.«
»Ein feister Mensch soll ein guter Mensch sein«, replizierte Doktor Velten.
»Gemach, gemach, meine Herren!« rief Inkrat. »Sie hätten Henry Peitz gewiß nicht hängen lassen, in Kenntnis des weiteren, sondern ihn ebenso laufen lassen müssen, wie es die Polizei schließlich tat.«
»Wegen falscher Ausdünstungen«, sagte Herr von Hohenlocher. »Beziehungsweise: wegen deren Generalisierung.«
»Meinetwegen«, erwiderte Inkrat. »Nun hören Sie weiter: die Ärzte lehnten es ab, mit unbedingter Sicherheit zu entscheiden, ob die Verunreinigungen der Wunde durch den Schlag hineingeraten seien, oder – was angesichts des offenen Fensters ja naheliegend war – hintennach durch Rauch und Ruß der Bahn. Diese führt, wie ich Ihnen hier in Erinnerung bringen möchte, zwischen Grimmenthal und Erfurt über eine Gebirgsstrecke, nämlich durch den Thüringer Wald, wo es Tunnels gibt. Beim offenen Fenster mußten hier Rauch und Ruß stark eindringen, das steht außer Frage. Peitz gab unter anderem an, einem Golfklub im rheinischwestfälischen Industriegebiet anzugehören, was auch stimmte. Die Plätze dieses Vereines enthalten in ihrem Boden da und dort Schutt – und Schlackenmaterial von den Gruben: daher die Verschmutzung der Schlagflächen an den Stöcken. Jedoch ergab nun eine chemische Untersuchung, daß diese Reste von anderer Beschaffenheit seien als die Rußpartikel, welche allenthalben in und an der offenen Wunde klebten. Ich bin kein
Weitere Kostenlose Bücher