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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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reinen ersten Frühjahrslicht, darin ja übrigens alles so wirkt, als wäre es eben geschaffen oder gerade im Entstehen, also gewissermaßen provisorisch. Jedoch konnte man glauben, daß der sittigende Einfluß dieser ganzen Welt um so eher auch über ihre grundbücherlichen Grenzen hinaus einen Hauch zu senden vermochte, solange die Hecken noch nicht verwachsen waren. Wenn nun aus einem offenen Fenster etwa noch Czernys ›Schule der Geläufigkeit‹ vom Klaviere erklang, oder Frau von Spresse oben am schrägen Fenster ihres in den Giebel eingebauten Ateliers nachdenklich lehnte, die Pinsel in der Hand: wahrhaft, es hätte genügen müssen, auf dem Gehsteige der leicht ansteigenden Straße draußen ein oder das andere Mal vorbeizuwandeln, um ein Gebildeter zu werden, mindestens aber den Einfluß höheren Menschentums auf räselhaft-fluidische Weise zu empfinden.
    Conrad kam die Straße herauf, von der starken Sonne voll getroffen, ja, von ihr geradezu im Gehen gehemmt. Für ihn lag dieser ganze Frühling rein draußen: wie ein lärmender Vorgang, dessen Mächtigkeit wohl empfunden wird, jedoch von einem verschlossenen und verhangenen Zimmer aus.
    In der Halle – mit der eichengetäfelten Kleiderablage, mit den herrlichen gekachelten Nebenräumen – blinzelte er im Halbdunkel, als ihm das Mädchen den Überzieher abnahm, der ihm schon auf dem ganzen Weg zu warm gemacht hatte.
    Seine Besuche bei der Tante Erika waren anfangs recht selten gewesen. Aber seit seiner Verheiratung mit Marianne Veik, seit Conrads endgültiger und dargetaner Bewährung in jeder Hinsicht also, schien Frau von Spresse größeren Wert auf den Umgang mit ihm zu legen: sie erkundigte sich dann und wann nach dem Befinden seiner Frau und nach dem seinen. Mehrmals wurde das junge Ehepaar auch eingeladen. Herr von Hohenlocher, der Schamlose, hatte Castiletz gegenüber längst schon geäußert: »Stellen Sie sich nur recht gut mit des Teufels Großmutter, beziehungsweise eigentlich mit deren Milchziege; das Gegenteil wäre einfach dumm und nichts weiter. Denken Sie an den Fall, daß Sie einmal Kinder haben sollten. Gut, Ihnen geht nichts ab; aber für die Nachkommen ist man verpflichtet alles zu tun, was man für sie tun kann. Diese Frau ist reicher als man weiß und hat es fertiggebracht, ihr ganzes Vermögen unvermindert durch alle Entwertungen zu bringen, ich weiß nicht mit Hilfe welcher höllischer Berater. In erster Linie kommen da Sie in Betracht. Handeln Sie also vernünftig und klar.« Gleich danach hatte er zuletzt gesagt: »Seit Sie neuestens Zigarren rauchen, sehen Sie wirklich schon wie ein werdender Generaldirektor aus. Der Bauch scheint sozusagen nur supponiert zu sein.« Castiletz ließ, was Herr von Hohenlocher in bezug auf die Frau von Spresse zu äußern pflegte, ohne Widerstand in sich ein, er nahm es an, und es hatte durchaus Einfluß auf sein Verhalten. Obwohl ihn dabei jedesmal der Verdacht plagte, daß Hohenlocher mit alledem nichts weiter wollte, als aus ihm sozusagen einen gewissen Typus zu züchten oder zu ziehen – zur Belustigung – etwa einen »Generaldirektor-Typ« mit gepflegten Beziehungen und Erbschaftsaussichten, in welchen Conrad allmählich gebracht werden sollte. Selbst bezüglich des für später einmal dabei notwendigen Bauches schien Hohenlocher seiner Sache in irgendeiner versteckten Weise sicher zu sein.
    Nun, was die bisher ausgebliebene »Nachkommenschaft« anlangte: vielleicht war nur Frau Gusta im stillen ein wenig unglücklich, keine Enkel zu haben.
    Diesmal hatte Conrad sich bei seiner Tante allein angemeldet. Das Mädchen führte, und Frau von Spresse empfing ihn am Teetisch, ausnahmsweise in der Bibliothek, denn das gab es hier auch, und zwar in des Wortes erdrückendster Bedeutung; nicht nur meterweise, sondern kubikmeterweise: knapp unter der holzgetäfelten Decke des Raumes wanderten dort oben noch die Rücken der Bände in Leder und Leinen hinter Glas. Man konnte in eigens dazu eingerichtete fahrbare Leitern steigen. Die Hausmädchen kannten sich da ganz genau aus und waren imstande, nach Kartothek jedes gewünschte Werk hervorzunehmen. In der Mitte des Saales – so durfte man dieses Bibliothekszimmer füglich schon nennen – stand ein Schaukasten, darin man von oben durch das Glas die Briefe einiger berühmter Männer betrachten konnte (auch einer von Adalbert Stifter war hierhergeraten, aus welchem Autor Frau von Spresse übrigens gerne vorlas). Zudem gab es als Kuriosität ein sogenanntes

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