Ein Mord den jeder begeht
sprechen als rein sachlich, und wenn die Rede auf den Sport kam, was nicht selten geschah – da sie ihn auch vieles fragte – dann nahm er seinen Standpunkt sogleich und unwillkürlich ganz innerhalb ihrer Befangenheit. Für einen anderen, außerhalb liegenden, kritischen, fehlte wohl auch in ihm ein fester Boden. Daß er nicht tätig teilnahm – obwohl ihm doch all diese Dinge geläufig waren – schien sie kaum zu bemerken, keinesfalls aber zu verübeln.
Man spielte Tennis. Marianne wurde von Duracher trainiert, der jetzt einen von den jungen Leuten – man nannte diesen aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen »Peggy« – auf die andere Seite des Netzes gestellt hatte und selbst, drei Schritte von Marianne entfernt, jede ihrer Bewegungen überwachte, dann und wann mit verbesserndem Zuruf einspringend. Die Plattform oben wurde von einigen zum Sonnen benutzt, sonst saßen die Zuschauer bei diesem Anfangsunterricht auf den Bänken am Rande des Platzes. Unter ihnen auch Conrad, jedoch im Straßenanzug. Er fühlte sich heute wohler als in der letzten Zeit; und was er angenehm empfand, das war eine gewisse Unaufmerksamkeit nach außen, die in ihm Raum gewann. Unter all dem Rufen, Lachen und Sprechen hier hörte er – vielleicht nur er – die in Abständen erklingenden Pfiffe und Triller der Vögel aus dem Parke, besonders vom Obstgarten herüber, klar und mit einem gewissen Genusse, der vielleicht darin bestand, daß eine ausgedehntere Raumempfindung in ihm anwesend sein konnte als etwa bei jenen, die über Mariannens Veranlagung zu einem guten Schlag sprachen, zusahen, oder in ihrer Unterhaltung sonst mit den nächsten Dingen und dem Nachbar befaßt blieben. Die Sonne sickerte überall tief und kraftvoll ein. Für Castiletz war es die erste Aprilsonne von heuer, die er wirklich erlebte.
Dennoch verabschiedete er sich nach einer Weile von seiner Frau und den anderen. Die Lockung der leeren Wohnung, des Alleinseins, wurde gerade jetzt mächtig, in dieser überall saugenden geräumigen Stille des frühen Jahres, die, mochte man welches Geräusch immer in sie werfen, es elastisch umschloß wie ein Sumpf, ein stummer Sumpf voll Erwartung.
Auch Castiletz hatte sich verändert. Ungefähr um die gleiche Zeit, da jene beiden Bücher vom Schreibtisch verschwanden, hielten andere Dinge ihren Einzug, und zwar blieben sie nicht auf dem Schreibtisch liegen, sondern sie gelangten in dessen Inneres: es waren einige Kistchen mit Zigarren und neuestens auch Zigarettenschachteln. Hinter der unberührten und unbeweglichen Reihe der Klassiker und des Konversationslexikons im Bücherkasten aber saß eine und die andere Flasche mit dem »ohnehin vernünftigsten« Getränk; wenn das Mädchen jetzt am späten Nachmittage den Kaffee hier hereinbrachte und die Hausschuhe, dann stand auf dem Tablett auch ein flaches bläuliches Glas zum bequemen Gebrauche.
Ja, Conrad hatte es nun ganz erlernt, sich hier von der Ottomane aus in aller Ruhe sozusagen ringweise zu entfalten.
Er lag, es war still, kein Wagen fuhr. Mit Wärme stieg der genossene Alkohol von unter her gegen den Kopf, alle Gedanken, jede gehende oder kommende Vorstellung blähend und unterfütternd. Was in solchem Zustande seit neuestem als erstes an der Oberfläche dieses »Denkens« zu erscheinen pflegte – eines Denkens, das selbst Herr von Hohenlocher nicht mehr als rein »textilisch« bezeichnet hätte – das war die Empfindung von der Gegenwart und dem Geöffnetsein eines Weges. Und hierin, was nämlich die reine Form betrifft, bestand zweifellos eine gewisse Ähnlichkeit in der inneren Haltung oder Lage der beiden Gatten. Wenngleich diese Wege sich trennten.
Denn auf den ihren blickte sie energisch voraus, unter der Stirn mit der einspringenden Nasenwurzel hervor (ihr Gesicht zeigte jetzt oft einen sehr eigensinnigen, ja fast gewalttätigen Zug), und sie griff diesen Weg mit ihren Händen, klar und fest, wenn auch im Innersten ein wenig enttäuscht und also trotzig. Ihm aber ahnte nur was. Und dies war vorläufig alles. Traf eine solche Ahnung ein, ohne daß er von dem »ohnehin vernünftigsten Getränk« und dem Tabak Gebrauch gemacht hatte, dann war sie hell, klar, etwa wie die in den Boden sickernde Frühjahrssonne, von welcher man glauben könnte, daß sie einen Fuß tief unter der Erde und bei den Wurzeln noch ihr Licht verbreitet. Dann wollte es sich heben wie ein Deckel, der von einer gewissen Stelle an über seinem Leben lag. Dann geschah es nicht selten,
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