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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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oberhalb der Leiste an der Wand zeigte eine immer wieder lustige Begegnung zwischen zwei Viertelkreisen oder Sicheln, die, gleichsam tanzend, sich neckten. Conrad erwachte nach einer Stunde herrlich ausgeschlafen und begann sogleich mühelos und flüssig zu – denken. Der heimische Wein hier gab, wie es schien, nur alles Gute in die Glieder, ließ nichts Böses im Kopfe zurück.
    Inkrat mußte wohl von vornherein angenommen haben, der Schmuck sei – in der Fahrtrichtung – rechts ausgeworfen worden: als . . . »Beutepaket« (Castiletz lachte plötzlich laut in dem stillen Zimmer über diesen Ausdruck). Etwa geplatzt. Alles Unsinn. Vielmehr: auf den sauberen freien Bahnkörper war der Abwurf erfolgt, wo man das Ding gleich hatte finden können, vielleicht im Morgengrauen noch desselben Tages. Jedoch: die Durchfahrt durch den Tunnel hatte höchstens eine Minute gedauert (hierin täuschte sich Castiletz, es war weit weniger). Daß in dieser Zeit das »Paket« fertiggebracht worden sei: dies blieb somit außer Betracht.
    Nun: woher der Ohrring?
    Es blitzte wieder in ihm: hier hatte ein Kampf stattgefunden, das Ohrgehänge war abgerissen worden. Jener Zustand, in welchem man das »Damenabteil«, worin Louison gereist war, angetroffen hatte, sprach einigermaßen dafür. Castiletz sprang vom Bette und kleidete sich fertig an. Dann eilte er die mit irgendwelchem Rips bespannten Treppen hinab und hinüber auf das Postamt neben der Station. Er ließ sich »dringend« mit Maria Rosanka verbinden, zum zweiten Male deren Namen im Buche aufschlagend, und wartete nicht lange. Erst summte, dann piepste es.
    Hier war sie.
    »Hallo, hier spricht Conrad Castiletz, gnädige Frau!«
    »Ja, hier Maria Rosanka.« Es klang nahe, klar und ruhig.
    »Verstehen Sie mich gut, gnädige Frau?«
    »Sehr gut«, sagte sie, wie auf zwei Meter ihm gegenüberstehend.
    »Ich bin hier auf dem Lande . . . wegen der Nachforschungen in bezug auf Louison Veik, an der Strecke. Ich bitte Sie, mir zwei Fragen zu beantworten, falls Sie dazu in der Lage sind. Haben Sie mich verstanden, gnädige Frau?«
    »Sehr gut«, kam es muschelnd, aber klar hervor. »Fragen Sie, bitte.«
    Während er sie ansprach, fühlte er – ihr Glück, ihre Überlegenheit. Das sonngoldne Atelier in der Stiftstraße. Die Täter, der Schmuck: dies hatte Maria Rosanka nie interessiert. Sie hatte ihre beste, vielleicht ihre einzige Freundin und Vertraute verloren. Das war für sie alles. Sie hatte still geweint. Er mußte sich zwingen zu sprechen:
    »Meine erste Frage lautet: ist Louison in einem Wagen gefahren, dessen Abteile in der Fahrtrichtung links lagen und rechts der Gang, so daß beispielsweise, wenn Sie, gnädige Frau, auf den Bahnsteig herauskommend den Zug rechter Hand hatten, Louison Ihnen zum Abschied aus dem Abteil hätte nochmals die Hand reichen können, ohne auf den Gang zu treten, der somit auf der anderen Seite, in der Fahrtrichtung rechts, gelegen war? Haben Sie mich, bitte, genau verstanden?«
    »Vollkommen«, sagte sie ruhig, ja bedächtig. »Es war so, wie Sie eben sagten. Louison stand im Abteil und reichte mir tatsächlich vom Fenster nochmals die Hand herab, bevor ich den Bahnsteig verließ. Außerdem aber hatte ich vorher den Wagen betreten, in welchem sie reiste, und mir dieses ›Damenabteil‹ angesehen. Es lag links am Gange, das heißt, nach dem Einsteigen querte man die Plattform und gelangte so in den Gang hinter die Abteile. Ich weiß das heute noch mit vollkommener Genauigkeit: Sie müssen bedenken, daß ich als Malerin naturgemäß ein Augenmensch bin. Stuttgart ist ja ein Kopfbahnhof; das heißt der Zug ist damals hereingefahren und auf demselben Geleise wieder hinaus. Demnach lag von hier ab der Gang in der Fahrtrichtung rechts.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Castiletz und bekämpfte nach Kräften seine Erregung. »Nun meine zweite Frage; ob Sie auch diese beantworten können, weiß ich nicht: hat Louison Veik, als sie mit Ihnen zum letzten Male sprach, Ohrgehänge getragen, Ohrringe?«
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte sie klar und fest, »denn das wäre mir im höchsten Grade aufgefallen. Sie trug nämlich gar niemals welche und besaß nur ein einziges Paar, ein ganz gleiches, wie es übrigens Ihre jetzige Frau damals auch hatte oder vielleicht noch hat. Es befand sich jedoch fast immer bei dem anderen Schmuck, den sie mit sich führte, da sie Beryll sehr gern hatte.«
    »Grüner Stein mit Gold?« sagte Castiletz.
    »Ganz richtig«, antwortete es

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