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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Weißenbornstraße.
    »Leider«, sagte Herr von Hohenlocher.
    »Vielleicht kommt sie wieder zur Vernunft«, meinte Conrad.
    »Höchstens unter dem Drucke äußerster Notwendigkeit«, erwiderte Herr von Hohenlocher, »das heißt unter dem Zwange von unbezahlten Monatsraten für die Möbel und rückständiger Miete. Jedoch ist hierbei Verzweiflung zu besorgen. Die Möbel stehen schon drinnen. Sie sind grenzenlos scheußlich. Ich sah sie. Vorläufig sitzt die Schubert im trauten Heim wie eine Spinne im Netz und hofft auf solche Weise den Bräutigam zu locken.«
    Castiletz sah dem Herrn von Hohenlocher nach, als jener bereits um die Ecke der Hans-Hayde-Straße bog, und durch einen Augenblick war ihm dabei zumute, als blicke er, selbst schwankend und bewegt, auf einen immerzu festen Punkt. Vom niederen Gitter des Parkes her schien jetzt ein belebender Anhauch zu kommen. Schon lockerte sich der Griff des Winters, er ließ die Erde los, sie begann zu atmen. Conrad empfand eine Art von Glück bei der Vorstellung, daß er nun allein zu Hause sein werde; Marianne war erst spät nach dem Abendessen zu erwarten. Nachdem er dieses allein im Speisezimmer eingenommen hatte – die Art, wie da für ihn sauber aufgedeckt war, berührte ihn, als er sich setzte, verwunderlich, dies Salzfäßlein, Pfeffer und Senf, ihm schien es, als sähe er seine selbstverständlichen Bedürfnisse plötzlich von außen und so einen Blitz lang ein gut Teil seines eigenen Lebens überhaupt – nachdem er also gegessen hatte, ging er in die »Bibliothek« (und zwar von außen herum durch den Vorraum, nicht geradewegs durch die Türe aus dem Speisezimmer). Er holte das Nötige zur Ottomane. Der erste Schluck rieselte heiß. Mit einem Male sah er die bewußte Brücke in sein weiteres Leben nicht mehr abgebrochen über die Pfeiler starren: sie lief. Er würde nach Berlin fahren. Schon hatte er einen unbestreitbaren Erfolg erzielt: der Ohrring war nicht wegzuleugnen. So, nur auf diesem Wege, konnte alles in Ordnung kommen, auch mit Marianne. Jetzt gab es einen deutlichen Rücklauf in ihm: er sah sich selbst mit ihr in Italien auf der Hochzeitsreise. Er fühlte – als rolle ein warmer Körper, wie eine Kugel, rasch, und schon vorbei, durch seine Brust – er fühlte wieder Erwartung, Bewegung, Spannung der damaligen Zeit. Es wehte heran und verging. Aber jetzt blieb die Hoffnung in ihm stehen wie ein fester Körper. Draußen schlug die Tür zum Badezimmer. Wieder hatte er das Kommen seiner Frau überhört, so leise war das Schloß der Türe vom Stiegenhause herein! Conrad stand rasch auf, zog seinen Schlüsselbund, öffnete eine Lade des Schreibtisches und nahm aus deren rückwärtiger Ecke den gefundenen Ohrring, welcher, in weißes Seidenpapier gewickelt, dort drinnen lag. Er zog ihn aus dieser Hülle und trat in das Vorzimmer hinaus, das nun erleuchtet war. Eben als Conrad an der Insel von Tisch und Stühlen vorbeiging, öffnete sich die Tür des Badezimmers und Marianne trat hervor; sie war im Schlafanzug, ein Kleidungsstück, das sie neuestens trug, obwohl das Pyjama ihrer derben Gestalt nicht wohl anstand. »Guten Abend, Mariannchen«, sagte er, auf sie zutretend. »Sieh – was ich wiedergefunden habe.« Sie nahm den Ohrring aus seiner flachen Hand, ohne ein Wort zu sagen. Was in ihren Augen blitzte, aus dem braunen Gesicht, das mußte er jetzt nicht unbedingt erkennen, das Licht hier war ziemlich matt. Doch wirkte es für ihn als diese ganze Lage ändernd, seinen Vorstoß abbiegend. Sie ließ Conrad stehen, ging rasch und leichten Schrittes in ihr Schlafzimmer und er konnte hören, wie sich der Schlüssel drehte. Hätte er Marianne jetzt sehen können, dann wäre es ihm unmöglich gewesen, weiterhin sozusagen an diesem Wasserglas nahe der Tischkante aus halbem Augenwinkel vorbeizublicken. Sie nahm aus einem Verstecke zwischen Batisttüchlein den kleinen Schlüssel zu den Laden, worin sich ihr Schmuck befand, und riß eine davon auf. Der grün-braun marmorierte Deckel des Etuis sprang: und darin lagen die beiden, Beryll-Ohrgehänge, deren eines von ihr als verloren proklamiert worden war. Den dritten Ohrring, ganz gleich den anderen beiden hielt sie in der Hand. »Er hat ihn nachmachen lassen . . .« wollte sie jetzt denken. Aber dieses Mäuerchen brach ein und dahinter zeigte sich das Unbegreifliche, das sie bedrängte. Sie blickte es an, in ihren Augen war Kampflust, Bereitschaft zum Haß, ja, dieser selbst schon. Hier glimmend, im nächsten

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