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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nur der Verstand, auf seine Art, also unanschaulich, wie ein kristallographisches Pappmodell des Lebens. Das aber reichte zum Handeln nicht aus. Da sah man lieber weg. Anderes war stärker, Conrad fühlte sich wie von rückwärts gehalten. Gewiß hieß es hier, und sogar bald und rasch, etwas tun, sonst geschah Unabwendbares; aber diese Sache glücklich zu ordnen, zu erledigen, dazu gehörte Zeit, Ruhe, Sammlung. Man mußte hier langsam vorgehen, ganz langsam, auf einem viel längeren Wege. Conrad kniff angestrengt die Augen immer mehr zusammen, während Eisenmann sprach, und sah beim Fenster hinaus über die neuen flachen Hallen der Fabrik, dahinter kahle Bäume ihre Äste polypenhaft vor den grauen Himmel schlangen. Und daß er, Castiletz, dabei fortwährend eine Art sumpfigen Geruches um die Nase zu spüren glaubte, oder einen derartigen Geschmack dauernd auf der Zunge hatte, das war zu nah, zu dumpf, um eigentlich festgestellt, und zu still und deutlich, um übersehen zu werden.
    »Verehrter Herr Direktor«, sagte er mit einiger Mühe – und in dem Gefühle, bei aller Anstrengung doch nicht ausdrücken zu können, was er eigentlich meinte – »ich muß Ihnen sehr danken für Ihre liebe, gute Anteilnahme. Sie haben freilich recht mit dem, was Sie sagen. Nur ist der Weg . .. auf welchem ich alles in Ordnung bringen könnte, vielleicht ein umständlicher, ein etwas längerer, eine Art Umweg ... ja, ich meine eigentlich, kurzerhand wird es nicht gehen . . .«
    Er war geradezu glücklich, als er dies herausgebracht hatte, und atmete aus, wie nach einer anstrengenden Leistung. Eisenmann sah vor sich hin auf den Schreibtisch. Anzunehmen ist mit Sicherheit, daß er Conrad anders verstand, als es dieser – und man möchte sagen, halb unfreiwillig – etwa meinte. Jedoch der Alte war viel zu gescheit, um, was ihm nicht gleich einging, auch schon irgendwie abzutun; auf seine Art und mit seinem guten, ja, weisen Kopfe suchte er zu verstehen, so weit’s eben ging, und darüber hinaus einfach zu respektieren.
    »Recht so, Bürschle«, sagte er. »Ich sehe, du hast mich ganz begriffen. Und freilich geht so was nicht von der Hand wie Wolle stricken oder Holz machen. Das mit deinem ›Umweg‹, das ist schon durchaus zutreffend. Ich möchte auch nicht, daß du meinst, der alte Eisenmann wollte dir was dreinreden in deine Privatsachen. Will er nicht. Ist aber dein Freund, glaub ihm.«
    Er reichte ihm die Hand.
    »Nun zur Praxis«, sagte er dann munter. »Hier möchte ich mir erlauben, dir einen Rat zu geben, Bürschle. Und zwar: fahr einmal fort. Es ist gewissermaßen wider die Natur, wenn immer nur die Frau wegfährt, und der Mann bleibt allezeit daheim sitzen. Wenn du schon nicht Skilaufen wolltest – was allerdings am füglichsten und natürlichsten gewesen wäre – dann weiß ich was anderes für dich.«
    »Ja, Herr Direktor . . .?« sagte Castiletz fragend.
    »Ja«, erwiderte der alte Eisenmann. »Was Feines. Es ist dir bekannt, daß unsere Rohstoffpreise im Lauf der Jahres 1929 Bewegungen zeigten, vor allem die Jute. Vielleicht wird sich noch allerhand zeigen. Ich bin kein Freund geheimnisvoller Worte, aber wir gehen, wohl möglich, tatsächlich großen Veränderungen entgegen. Also, wegen der Jute, und auch wegen dem anderen Zeug: es wurde von verschiedenen Seiten angeregt, einmal miteinander Fühlung zu nehmen; ich meine die p. t. Konkurrenz. Die heutige Lage bietet gewisse Vorteile, die wahrgenommen werden müssen. Paßt man nicht auf, dann kann der Schaden um so größer sein. Ja, so ist’s schon. Es gibt da mehrere Herrschaften, die sich von einer größeren Gruppe Einfluß auf neue Preisbildungen versprechen, nicht ganz mit Unrecht, versteht sich von selbst. Man hat mir gegenüber und auch beim Geheimrat schon zweimal was durchblicken lassen. Na, und heuer im Frühjahr wird’s eine Art Stelldichein geben, in aller Stille, ganz unter der Hand und ganz unverbindlich, das wurde freilich stark betont. Ich habe nicht die Absicht, da beizugehen, auch der Geheimrat nicht. Wir wollen nur einen Beobachter schicken, einen Gesandten. Manche andere werden’s ganz ebenso machen. Der Gesandte wärest du. Wenn auch etwas jugendlich. Macht nichts, macht durchaus nichts. Dabei gehörst du zur Familie. Diese Sache wird deine Stellung stärken, in jeder Weise. Für die Zukunft ist das wichtig. Auch die Anknüpfung persönlicher Bekanntschaften. Du warst zudem nie in Berlin. Das geht nicht. Mußt dich einmal umtun. Sie sollen

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