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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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eröffnete Welt.
    Kokosch stand bewegungslos, das erloschene Restchen in der Hand. Eben begann die allererste Dämmerung einzufallen.
    In die ringsum ausgebreitete Stille tönten plötzlich trappelnde Laufschritte von der Straße drunten, näher und mehr, und hallende Rufe.
    Er machte zwei Schritte vor und sah hinab. Ein Mann kam in vollem Laufe am Kanal entlang. Der Hut flog – zum wievielten Male schon?! – in den Schmutz der Straße. Jedoch der Gehetzte achtete dessen nicht. Seine rufenden Verfolger – worunter ein Schutzmann – waren erst bei der Brücke, der Vorsprung groß. Er hätte entkommen können. In die Auen. Statt dessen blieb er stehen. Kokosch trat von einem Bein auf das andere, griff mit der Hand an die Fensterscheibe. Der Mann dort unten ohne Hut stand hinter dem einen Holzstapel, welcher ihn den Blicken der Nachsetzenden jetzt entzog. Nun lugte er für einen Augenblick hervor, ganz wie ein Tier, Kokosch sah deutlich das Weiße der Augen. Noch war Zeit zu laufen! Jener aber öffnete den Rock, kramte in irgendeiner Tasche mit gesenktem Kopfe – jedoch jetzt kam’s zum Vorschein, blank und dunkel, wurde augenblicklich mit waagrecht wegstehendem Ellenbogen an die Stirn gesetzt, ein übermächtiger, peitschender Knall, und Conrad sah noch den Rauch in der Luft hängen, während der Mann dort unten sich in ein reglos am Boden liegendes Bündel Kleider verwandelt hatte.
    Der Schuß bremste die Verfolger, vielleicht glaubten sie, es gelte ihnen. Gleich danach aber waren sie alle heran und bauten mit vielen herzulaufenden Menschen eine Mauer um den Liegenden, welche diesen selbst Conrads Blicken entzog.
    Das plötzliche Ereignis – eben noch scharf und klein, wie jenes allererste Aufleuchten am Ende des entzündeten Magnesiabandes – ging bald beweglich in die Breite. Das Mädchen kam nach vorne gelaufen, dann die Mutter. Sophie rannte auch gleich hinab, um Näheres zu erfahren. Dort unten vermehrten sich die Helme der Schutzleute. Ein trüber Pfiff, die Ambulanz kam, jetzt wurde für jemand durch den Haufen Bahn gebrochen, wohl dem Arzte. Binnen kurzem kam er aus dem Schwarm wieder hervor, stieg ein, und der Krankenwagen fuhr leer davon.
    Denn dieser Mann, der neben dem Holzstapel lag, war nicht mehr krank, er war sozusagen weit gesünder als alle anderen, nämlich tot.
    Ihm diente eine Bahre, und mit ihr und den umgebenden und abweisenden Schutzleuten entfernte sich der ganze Spuk. In seinem Gefolge erschien jetzt noch das Mädchen, deren Erzählung einem feuernden Maschinengewehr an schnatternder Eile nichts nachgab.
    Jener hatte eine Büchse mit Fischen und sonst noch Eßbares in einem Laden gestohlen und war dabei ertappt worden. Daher die Flucht, nachdem er sich zunächst losgerissen.
    Sophie schilderte genau, in welchem Geschäfte der Vorfall sich zugetragen hatte, sie kannte den Laden, den Inhaber, dessen Frau, ihre zwei Töchter ...
    Kokosch saß am Bettrand.
    Wenige Tage später ereignete sich ein geradezu teuflischer Zufall.
    Die Mutter rief. Sie stand im Schreibzimmer des Vaters auf einem Stuhle und nahm die Gardinen ab, welche gewaschen werden sollten, dazu noch einiges an Decken oder Deckchen und dergleichen. Kokosch wurde ersucht, diese Dinge Stück für Stück auf einem kleinen Blatt Papier zu vermerken. Er wollte gehen, um einen Bleistift zu holen. »Nimm hier einen«, sagte die Mutter. Also schrieb er, was sie ihm angab, und sah sich dabei in dem selten betretenen Raume um. An allen Wänden hingen gekreuzte Klingen, Rapiere, Degen, Fechtmasken, darunter Gruppenaufnahmen, die anläßlich von Turnieren oder Feiern im Klub gemacht worden waren. Kokosch erkannte eben auf einem Bilde zwei von jenen Klubfreunden seines Vaters wieder, die sich jeden Monat einmal hier in der Wohnung zu einer Art Vorstandssitzung oder dergleichen versammelten, wobei es immer großes Abendessen und mancherlei Gespräche der Herren über Tisch gab. Noch am nächsten Tage konnte man den schwebenden Zigarrenduft sogar im Vorzimmer spüren .. .
    »Drei Mittelstücke, sechs Seitenteile ...« sagte Frau Leontine von oben. Kokosch schrieb.
    Sie stieg herab und reichte ihm einen Packen Wäsche. »Nimm das, bitte.« Um die Hände rasch frei zu kriegen, schob er den Bleistift in die außen an seinem Knabenanzug angebrachte Brusttasche. Dann folgte er der Mutter, die gleichfalls Wäsche über den Armen trug, ins nächste Zimmer.
    Man weiß natürlich schon, daß es sich hier um den Bleistift handelt. Zwei Tage später,

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