Ein Mord den jeder begeht
doch Molche werden zu sollen. Kokoschs Heimweg war erfüllt von dem einzigen Wunsche: die gekauften und sorgfältig verpackten Schätze zu Hause wieder aus ihren Hüllen zu ziehen und zu betrachten. Aufgestellt sollten sie oben am Kasten werden, getrennt von allem übrigen, es würde das sozusagen eine ganz eigene Abteilung ergeben: das Laboratorium.
Er ging mit Bedacht. Der zerbrechlichen Last wegen wählte er stillere Gassen zum Kanal hinab. Die Dunkelheit war vollends gesunken, über die Bürgersteige hier fielen da und dort matt und gelblich die bescheidenen Lichter vorstädtischer Armut, aus Fenstern der Erdgeschosse, aus Kramladen, aus einem Branntweinschanke, dessen Fuseldunst, gemischt mit anderem, jetzt über das Pflaster schlich: denn jemand wankte heraus und ließ die trübe Glastür hinter sich offenstehn; erst einige Augenblicke später schloß sie von innen her eine unwillige Hand. Conrad sah zu, daß er vorbeikam. Aber jetzt rief man ihn schon an: »Junger Herr! Junger Herr!...«
Jedoch klang diese Stimme nicht im mindesten böse, bedrohlich oder pöbelhaft. Sie war nur klagend, schwach, halblaut.
Conrad verhielt in der Tat die Schritte, seine empfindliche Last mit Sorgfalt tragend, ja er sah sich sogar kurz um. Das veranlaßte den Mann, der gerufen hatte, etwas näher heran zu kommen, jedoch blieb er in einigem Abstand von Kokosch, sei es, um den Knaben nicht zu erschrecken und zu vertreiben, oder aus sonst irgendeiner Scheu. Licht von einem tiefgelegenen Fenster fiel auf ein schmales und scharfes, aber gutmütiges Gesicht. Der Hut war voll Schmutz von der Straße, er mußte mehrmals herabgefallen sein. Um den Sattel der Nase und unter den Augen standen Schweiß, Schwäche, Übermüdung.
Das war alles, was Conrad in den wenigen Augenblicken in sich aufnahm, während er über die Schulter zurückblickte. Durch eine Sekunde nur, aber deutlich, sah er an der Möglichkeit entlang, jetzt stehenzubleiben, zu fragen. Aber da sperrte und verdeckte ihm plötzlich der empfindliche Schatz im Arm die Verlängerung dieser inneren Richtung, er begann rasch und rascher zu gehen.
»Junger Herr – bitte hören Sie doch«, rief es hinter ihm, etwas lauter, wenn auch noch immer kraftlos.
Kokosch trat geschwind um die nächste Ecke und schritt davon, am Kanal entlang, zur Brücke. Erst auf dieser und mitten unter den hier zahlreicheren Menschen fühlte er sich gesichert, und nun hieß es ja auch scharf achtgeben, daß ihm niemand an den Arm renne.
So brachte er alles glücklich heim, die staubigen Gefäße unter den Strich eines weichen reinigenden Tuches und zuletzt an ihren in Aussicht genommenen Ort der Aufstellung. Lange stand Conrad auf einem Stuhl vor dem Kasten. Einen hölzernen Retortenhalter besaß er schon – den hatte er in kühnem, unvermitteltem Vorstoß einige Tage früher erstanden – und nun wurde also die große Retorte mit eingeschliffenem Glasstöpsel bedachtsam zwischen die innen mit Kork belegten Platten der Klemme gebracht, durch mäßigen Druck festgeschraubt, und darunter fand die gläserne Weingeist-Lampe ihren Platz. Ein Gestell für die Probiergläser fehlte freilich. Diese lagen ordentlich gereiht, und zwar auf Watte, was vortrefflich aussah. Das gutartige Mädchen, welches das Wischtuch gebracht, half jetzt und reichte, und verwunderte sich über alles gar sehr, sonderlich über die Gestalt der Retorte, von der sie behauptete, sie sähe mit ihrem langen, spitz zulaufenden Ansatzrohr dem Krämer unten im Nachbarhaus ähnlich, dem Herrn Köttel, der eine ebensolche Nase habe.
Es kam eine besonders helle, klare Zeit. Beim Fenster wurde des Nachmittags – nachdem die Geschäftsdispositionen im voraus für drei Tage schon durchgeführt waren – ein Tisch aufgestellt, und man ging, genau nach des Lehrbuchs Angaben, an den ersten Versuch, nämlich Sauerstoff darzustellen, wozu Kokosch nicht das gefährliche Kaliumchlorat, sondern den harmloseren Braunstein wählte. Im ganzen, beim Beginn des Versuches, schien alles unglaubhaft, und Conrad empfand ein recht unanschauliches Vertrauen zu den Vorschriften, ähnlich dem, das er stets zu mathematischen Formeln hatte – mit welchen sich aber doch auch sehr flink rechnen ließ, wenn’s einmal eingelernt war.
Als aber dann im hohen Sammelglase, worin das Gas, schwerer als Luft, stand, der entzündete und hineingehaltene Magnesiastreifen mächtig erstrahlte – da war’s doch ein erfreulicher Griff ums Herz, ein stilles Wunder, eine
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