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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Haltung und Art, als müsse sie sich wohl eigentlich entschuldigen wegen dessen, was sie hier tue, wegen dieses Stelldicheins nämlich, sich entschuldigen vor einer als anwesend gedachten Welt – aber, nun, sie könne eben nicht anders!
    Wieder ganz in Weiß, trug sie doch heute Leichteres, Duftigeres. Conrad sah jetzt klar und am Tage, daß sie sehr hübsch war. Eine rasche Hitze flog ihn an.
    »Wie nannte man dich als Kind, als kleinen Jungen?« fragte sie gleich nach der Begrüßung und hielt seine Hand.
    »Ja – « antwortete er, »das weiß ich nicht mehr – doch: »Kokosch‹.« Und damit schluckte er die bereits ausgesprochene Lüge wieder hinab.
    »Kokosch! – « rief sie. »Darf ich dich auch ›Kokosch‹ nennen?«
    »Ja«, sagte er, schaute in ihre Augen, und dann glitt sein Blick über ihre Schultern hinab.
    »Auf dem Wege hier gehen täglich, wenn es etwas kühler wird, viele häßliche Menschen spazieren, ich sehe sie immer vom Fenster«, meinte sie.
    »Dann biegen wir rechts ab, in das kleine Seitental, und strolchen dort herum«, sagte Conrad.
    Arm in Arm verließen sie nach etwa hundert Schritten den Weg und gingen leicht bergan, zwischen den sich öffnenden Waldlehnen, längs einer kleinen Wasserader, die hier dem großen Bache zufloß.
    Tief im Walde, als er sie an sich zog, verbarg sie ihr Gesicht an seiner Schulter.
    Er hob sie auf, wie ein richtiger Mann, mit beiden Armen, und legte sie dann sanft auf das Moos nieder.
    »Aber Herr Castiletz. . .«, sagte sie zweimal. Später fiel ihm das oft noch ein. Ihr Kopf mit den dichten blonden Haaren lag seitwärts.
    Er ritzte sich ein wenig an ihrer Busennadel, beim Öffnen des Verschlusses.
    Sonst ging alles gut. Sie verbarg wieder ihr Antlitz an seiner Schulter.
    »Ich bin vierundzwanzig Jahre alt«, sagte sie leise.
    »Und ich achtzehn«, antwortete Conrad unbefangen, da jene Ziffer für ihn durchaus nichts Anschauliches bedeutete. Sie blieb wie sie war, ohne viel zu sagen. Er bemerkte dann wohl, daß ihre Augen ein wenig feucht schimmerten. Von der Dorfstraße klang der Hornton eines Automobiles.
    Auf dem Heimwege fiel ihm später ein, daß sein siebzehnter Geburtstag erst am Anfange der Sommerferien gewesen war, die ihm nun sehr lange schon anzudauern schienen, jedoch glaubte er in diesem Punkte nicht eigentlich mit Wissen gelogen zu haben, nicht in der Art jener ersten Lüge, die er dann rasch wieder hinabgeschluckt hatte. Einen Augenblick lang wurde er nachdenklich, wegen des hier obwaltenden Unterschiedes. Dann sah er Ida vor sich, wie sie über die Brücke gekommen war, und auf ihn zu.
    Es war sehr warm. An einer Stelle, links der Straße, brach die sinkende Sonne eine breite von Goldglut erfüllte Pforte in den schütteren Laubwald. Als Conrad heimkam, blinzelte Lehnder ihn an, zuckte dann die Achseln und sagte: »Na ja.«
    Es ging alles gut. Fast täglich schritt Conrad jetzt von der Sägemühle her bachaufwärts den Weg entlang, neben welchem die Wasser erst schwiegen und weiter oben rauschend über die Steine fielen.
    Fast täglich also, jedoch ohne allzu große Eingenommenheit. Vielleicht wirkte hier auch hemmend jene zutiefst und unausrottbar im bürgerlichen Blute sitzende Geringschätzung für alles, was man umsonst hat, wofür man nichts zu bezahlen braucht. Wenn er an die Rückkehr in Stadt und Schule dachte und an den Herbst und Winter, so kam, als eine bestimmte Form des Behagens, auch das Bild jenes alten Stadtviertels herauf, welches er, die Weinschläuche übersteigend und hinter sich lassend, heuer erstmals kennengelernt hatte. Ja, und dies nahm seinen Platz ein und hatte ihn behalten.
    Jedoch änderte sich gerade der bezeichnete Sachverhalt an einem bestimmten Tage, der seinen Prägstempel tief in Conrads Gedächtnis schlug und damit auch gleich den Schauplatz des Erlebnisses mit hinunterriß ins Kernholz der Erinnerung. Dieser Schauplatz war bescheiden, kahl, roch nach Brettern, die von der Sonne heiß geworden waren, und nach nasser Wäsche: das Innere einer Umkleidekabine im Schwimmbad des Ortes. Draußen plantschte das Wasser, schrien die Jungen, und oben fiel die Sonne durchs Gitter.
    Die ganze Familie Castiletz war im Bade, samt Albert Lehnder und Tante Berta. Deren Stimme hörte Conrad, welcher schon seine wenige Bekleidung abgestreift hatte, jetzt rechter Hand vor der Türe der benachbarten Umkleidezelle. Als jene Türe dann geöffnet ward, schoß die hereindringende Sonne einen raschen Lichtpfeil oder Lichtblitz

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