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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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und kam zu seinem vielfältig wechselnden Worte. Conrad bemerkte jetzt erst, daß der Geruch von Lack, den er schon die ganze Zeit hindurch – und nicht unangenehm – empfunden hatte, von den frisch gemalten Verzierungen oben an den Pfosten und an der Stirnseite dieser Laube hier kam. Zwischen zweien von diesen Pfosten stand der absinkende Hügelschwung wie ein gerahmtes Bild, mit den da und dort strichweis, aber ganz zart noch, in den Laubwald einfallenden herbstlichen Farben.
    10
    In der Stadt wurde die Beziehung zu Ida Plangl fortgesetzt, und damit rückte das Ganze endlich vor seinen rechten Hintergrund. Sie war eine Näherin oder Putzmacherin, und jener Urlaub in der Landluft, mühsam zusammengespart und – geschneidert, hatte ihrer Gesundheit wegen eine schon unabweisbare Notwendigkeit gebildet. Nun wieder in ihrer Vorstadt wohnend, einem ausgebreiteten Fabrikviertel, pflegte sie sich mit Conrad in dieser für ihn neuen Umgebung zu treffen.
    Es gab in der Stadt – übrigens in einem vom Elternhause recht entfernten Viertel – eine Art Bildungsverein für Handelsschüler und kaufmännische Angestellte, wo Filme vorgeführt sowie irgendwelche belehrenden oder schöngeistigen Sachen verzapft wurden, und zwar selbstverständlich zur Freizeit, des Abends also.
    Dieser Anstalt beizutreten, fand Conrad sogleich nach dem Beginne der Schulzeit für ersprießlich, wogegen sich freilich kein Einwand von seiten der Eltern erhob; und er bestieg meist an solchen Abenden die Straßenbahn und fuhr mit einer von ihm sonst kaum jemals benutzten Linie hinaus in die Vorstadt, um seine neue Freundin zu treffen.
    Der erleuchtete Wagen jaulte seine Tonleitern auf und ab durch stark belebte Straßen, rollte hallend durch die Unterführung in der Nähe eines Bahnhofes und jetzt endlich entlang der breiten und lärmenden Hauptader von Ida Plangls Wohnbezirk, für eine lange Strecke ohne Anhalten dahinsausend. Hier gab es zahllose und schreiende Lichter von allen erdenklichen Ankündigungen alles erdenklichen Bedarfes, mit riesenhaften roten und blauen Bändern die Breite der Häuser beherrschend. Und so riß diese Straße eine schimmernde Schlucht begehrten und begehrlichen Lebens durch ein ansonst stilleres und trüberes Viertel, dessen Häuser gleichmäßig in ihrem schmutzigen Grau lagen, welche Farbe auch die Gitter und großen Tore der Fabriken hatten, die da oder dort solch eine Häuserzeile unterbrachen. Über der Einfahrt stand dann in gußeisernen rauchschmutzigen Buchstaben der Name des Werks.
    Conrad fuhr bis zur ersten Haltestelle in der großen Straße, stieg aus und blieb wartend auf der gleichen Seite.
    Der Abend entließ allerlei Menschen auf die Straße, Kinder gingen mit Bierkrügen, an den weiß und starr erleuchteten Schaufenstern eines Wäschegeschäftes vorbei, junge Arbeiter, in Reihe und Arm in Arm bummelnd, bedurften für sich allein fast der ganzen Breite des Bürgersteiges, eine haarige Brust drängte das offene Hemd auseinander. Vom Wirtshause klang ein Grammophon, kam jetzt eine Welle nahrhaften Geruches, während ein großes schweres Automobil fast geräuschlos und unbeteiligt vorüberglitt. Man hörte das Lachen einiger Mädchen.
    Aus diesem unregelmäßig beleuchteten Treiben kam sie jetzt hervor und heran, Ida, mit ihrem sehr weichen Gang, die blonden Haare ohne Hut, schlank in einem Mantel, trotz des linden Abends, an welchem der Herbst freigebig aushauchte, was an Wärme noch vorhanden war. Wieder wie damals stand in ihrem herzförmigen Gesicht ein sich selbst gleichsam entschuldigendes Lächeln, und so begrüßte sie den Knaben Kokosch mit ihrer kleinen sehr warmen Hand.
    Um die nächste Ecke verließ nun das Paar die Hauptstraße, sie fügten in den stilleren Gassen Arm in Arm und wandelten langsam herum bis zu einer Parkanlage, die hier zwischen Fabrikhallen und dem Endbahnhofe der Straßenbahn sich hinzog.
    Die Dunkelheit war längst und vollends in den Gassen gesunken, über den Bürgersteig fielen da und dort matt und gelblich die bescheidenen Lichter vorstädtischer Behausungen, aus Fenstern der Erdgeschosse, aus Torbogen, worunter ältere Frauen standen, die den beiden nachsahen. Als Conrad hier zum erstenmal mit Ida gegangen war, hatte sich keinerlei Erinnern an seine einstmaligen romantischen Neigungen in ihm erhoben, keinerlei Gefühl von Abenteuer. Dies hier war eine Welt anderer Art, welche ihn jetzt allseits umschloß. Dies hier war eine Welt, welche eine ganz fremde Art von Ordnung

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