Ein Mord den jeder begeht
Vorstellung von Widerstand, Sprödigkeit oder Ziererei weit entfernte. »Sehen wir uns morgen?« fügte sie leise hinzu.
»Ja freilich«, sagte Conrad rasch, »und wo?«
»Ich wohne bei der Wäscherin, einer Frau Rumpler, am Bache«, antwortete sie – und noch immer standen beide ganz unverändert – »kennst du das kleine Haus?« Conrad nickte. »Auf der anderen Seite des Baches führt ein Spazierweg, ›Am Wassersteig‹ heißt es dort. Den kennst du ja auch.«
»Natürlich, selbstverständlich kenne ich diesen Weg«, sagte Conrad.
»Dann komme bitte morgen gegen vier Uhr diesen Weg, bachaufwärts, gegen die kleine schmale Brücke zu, die bei dem Hause, wo ich wohne, hinüberführt, ja?«
»Also morgen um vier Uhr. Ich komme den Weg von unten, von der Sägemühle her, herauf, gegen die Brücke bei der Frau Rumpler zu«, wiederholte Conrad genau.
»Ja, wirst du bestimmt kommen?« sagte sie.
»Ja, ganz bestimmt«, sagte Conrad mit Eifer. Erst jetzt, nach dieser Unterhaltung, veränderten sie ihre Körperstellung, als sie sich zum Gehen wandten und Arm in Arm den Feldweg weiterschritten, bis zu dem Gatter, welches das Anwesen der Wäscherin abschloß. Das weiße Häuschen lag rückwärts im schwachen Mondschein. Vor dem Gattertor küßten sie sich wieder.
»Wie heißt du?« fragte er sie und lächelte zärtlich.
»Ida. Und du?«
»Conrad.« Er drückte sie fest an sich. Als die Gartentür zugeklappt war, sah er, daß sie auf dem Wege zum Hause, zwischen einigen kleinen Obstbäumen hin, sich nochmals umwandte. Dann war sie verschwunden.
Er ging auf dem Feldwege zurück zur Straße. Er dachte, daß dies gut gegangen sei. Jetzt, allein, empfand er den Duft von den Wiesen viel stärker. Auf der Hauptstraße kamen ein paar Singende, Arm in Arm. Als Conrad den Tanzsaal wieder betrat, schwieg eben die Musik. Er sah Albert Lehnder an einem Tisch in größerer Gesellschaft, jene junge Frau war auch dabei. Albert winkte. Conrad trat hinzu und wurde bekannt gemacht. »Nun –?« sagte Albert, und hatte wieder seinen leicht spöttischen Ton. Zugleich freute er sich aber ganz augenscheinlich, weil er sah, daß Conrad gefiel. Alle blickten den Burschen an. »War Ihnen denn nicht kalt, mit den bloßen Armen?« sagte die junge Frau lächelnd. »Nein, mir war gar nicht kalt«, antwortete Conrad ganz arglos. Jetzt lachten alle. Jemand bot ihm ein Glas Wein an. Kurz danach wurde aufgebrochen, es gab noch ein Auf und Ab in den Straßen zwischen den altmodischen Villen mit den Holzveranden, und am Ende brachte man Alberts Tänzerin heim an ihr Gartentor. »Wie gefällt sie dir?« fragte jener, als sie allein waren, auf dem Heimwege. »Gut«, sagte Conrad, »sie ist wirklich hübsch, mit den tiefschwarzen Haaren.« »Wie eine Römerin!« rief Lehnder. »Aber du – du bist wohl schon ans Ziel deiner Wünsche gelangt?« »Nein, morgen«, antwortete Conrad einfach. »Wie –? Habt ihr das so genau vereinbart?!« »Ja, eigentlich schon.« Nun langten sie an, sprachen nichts mehr, sondern zogen die Schuhe aus, huschten über eine Rasenfläche und stiegen durch das offene Küchenfenster in die Villa ein.
Am nächsten Tage kreuzte Conrad die staubige Dorfstraße und wechselte bei der Sägemühle hinüber auf den Spazierweg am Bache.
Es war fünf Minuten vor vier Uhr.
Er ging bachaufwärts. Links hinter ihm tönte das Geräusch der Brettersäge wie ein rascher, keuchender, dabei aber ganz gleichmäßiger Atem. Das Gerinne des steinigen Baches floß dünn, es stand in Pfützen, alles Wasser war für die Säge abgeleitet und zog drüben in einer räumigen Rinne von Holz dahin. Das Gefälle war hier noch groß, knapp an den Ausläufern der Waldberge. Die Ableitung des Baches geschah mit Hilfe eines kleinen Wehrs. Von hier aufwärts begleiteten die Wasser wieder den Weg, über Steine fallend und rauschend. Es gab Bänke am Weg. Über diesen hing allenthalben der üppige Baumwuchs tief mit den Kronen, und auch das Gebüsch von einer steilen Lehne rechter Hand breitete sich halb darüber, so daß die Sonne am Boden in zahllose Kringel, Kreise und Striche zerfiel, die auch auf dem Wasser tanzten.
Nun sah Conrad schon das Brücklein bei der Wäscherei. Er hielt an. Gleich danach leuchtete es weiß in der Sonne zwischen den Büschen jenseits des Baches, und das Mädchen kam über den Steg. Sie blickte zu Conrad herüber und winkte. Er ging ihr rasch entgegen. Sie näherte sich ihm mit ihrem sehr weichen Gange und lächelnd und in einer
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