Ein Mord den jeder begeht
Kartenspiel noch in aller Stille ausgerückt.
Hier fand das allsommerlich übliche Tanzfest der Ortsfeuerwehr statt, welche auch die gewaltige Musik dazu stellte. Sogleich stieg Conrad, ohne sich erst durch die Gaststube zu bemühen, beim Fenster ein, und Lehnder hinter ihm; alsbald wurde der wohlbekannte junge Herr von vielen Seiten begrüßt und Lehnder gleichfalls. Landleute und Feriengäste tanzten durcheinander, Albert entschwebte bald mit einer von ihm schon mehrmals bemerkten jungen Frau, die kennenzulernen sich beim Tanze eine schickliche Gelegenheit bot, sozusagen ländlich-unschuldig, wozu die Musik hier ganz und gar passen mochte, in einer etwas dick aufgetragenen Weise neuzeitliche Tänze spielend, mit verstärktem Basse, aber erstaunlich sicher im Takt.
Conrad tanzte ungern. Die Faulheit seiner Jahre war ihm vornehmlich dabei im Wege – und schon gar, sich hier in diese Drängerei zu stürzen! In der Ecke stand ein jetzt unbenutztes Klavier. Er lehnte sich daran. Als die Musik schloß, kam eine schlanke und blonde junge Person in weißem Jackenkleid gegen seinen Platz und setzte sich, einen neben Conrad stehenden leeren Stuhl zum Aufstiege benutzend, leichthin und bescheidentlich auf das Instrument hinauf, offenbar so auf ihren bereits gewohnten Sitz zurückkehrend. Hier lag auch ihr Täschchen.
Kaum saß die junge Dame, so lachten schon beide, Conrad und sie. Er rückte den Stuhl um ein weniges näher und unter ihren Füßen zurecht. Ihre schlanken Beine in weißen Strümpfen standen jetzt neben ihm vor der dunklen zurückweichenden Rundung des Klaviers.
Sie sprachen sogleich beide allerlei und eigentlich recht viel. Es war ein gegeneinander Halten, ein gegeneinander Stemmen der Stimmen, wie ein vorfühlender Versuch, den das Auge anführte. Er brachte ihr zu trinken. Da begann die Musik. Sie wies lächelnd und sich mit Müdigkeit und Durst entschuldigend, einen Tänzer ab, einen zweiten und einen dritten. Conrad stand ihr zugewandt vor dem Klavier, das Kinn in die Hand gestützt, und sah im Sprechen zu ihr hinauf. Er bemerkte, daß ihre großen dunkelblauen Augen stark glänzten.
Sie sei müde, sie wolle schon lange heimgehen, sagte sie.
Und er, ob er sie begleiten dürfe?
Ein Blick zu Lehnder, ein Zeichen, sich hier wieder zu treffen – er half ihr in einen weißen Mantel und sie traten in die schon etwas kühle Nacht hinaus.
»Wer ist der Herr?« fragte sie.
»Mein Freund«, antwortete er.
»Zu Besuch bei Ihnen auf dem Gut?«
»Ja. Wissen Sie denn, woher ich bin?«
»Ja. Man sagte es, als Sie beim Fenster hereinstiegen.« Ein Stück folgten sie der Hauptstraße. Dann bogen sie ab. Von den Gärten und Wiesen kam dick und stark ambrosischer Gründuft, der in der Windstille ruhte, verstärkt durch das nächtliche Ausatmen der Bäume. Auf den Wiesen lag zum Teil noch die zweite Mahd. Conrad sah den Mond als Sichel über dem Dorfe; und hier, auf dem eingezäunten Wege zwischen den Feldern, stand der Grillenton ohne Unterbrechung im Ohr.
Da er früher schon ihren Arm genommen hatte, erachtete Conrad jetzt, auf dem Feldwege, den Augenblick für gekommen, hielt allmählich an, beugte sich und lehnte von seitwärts her seinen Kopf an den ihren. Er drückte auch ihre Hand und fand das schwach erwidert. Nun standen sie bewegungslos. Sich ganz ihr zuwendend, zog er sie endlich an sich und küßte ihren Mund, sehr langsam, wie auch sein Arm sich gelassen, locker und ganz krampflos um ihre Schultern gelegt hatte. Ihr Mund war sehr heiß. Er empfand jetzt erst, um wie viel sie kleiner war als er. Nach dem ersten Kusse blieb ihr Kopf reglos an Ort und Stelle, sie hielt weiter den Mund hin, wie jemand, dem man zu trinken gibt. Conrad küßte weiter: auch ihre Augen, Wangen, den Hals, das Haar, welches sehr dicht und dick am Kopfe lag und den leicht fettigen Duft eines ihm fremdartigen Haarwassers oder von etwas ähnlichem aushauchte.
»Ist dir nicht kalt?« fragte sie leise, ohne die Stellung des Gesichtes zu verändern. Ihre Hand lag auf seinem Oberarm, den das kurzärmlige Hemd freiließ. Ihr Antlitz stand gerade in den Mond, der sich schwach in den glänzenden Augen spiegelte. Conrad schüttelte nur den Kopf und küßte sie wieder. Er tat es, wie man sonst irgend etwas tut, ohne übertriebene Zärtlichkeit.
»Ich möchte so gerne jetzt schlafen gehen, ich bin todmüde heute«, sagte sie, ohne sich im geringsten von ihm loszumachen, überaus sanft und in einem entschuldigenden Tone, der so jede
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