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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Türflügel öffnete sich sogleich und ganz; dahinter stand ein Wesen, von welchem zunächst die sehr großen hellen Augen ins Bewußtsein traten, die aus einem kleinen, spitz benasten Gesichtchen einladend gutmütig schauten, aus einem Gesichtchen, dessen Alter und Farbe so wenig fürs erste bestimmbar schienen wie die eines treuen, vielbenützten Tabaksbeutels. Conrad wollte sein Kommen erklären, aber dies schien nicht notwendig, die Aufwärterin – so etwas war das kleine Frauenzimmerchen anscheinend – half ihm gleich aus dem Mantel und deutete auf eine ebensolche weiße hohe Flügeltüre wie jene, durch die Castiletz vom Flure eingetreten war. Er klopfte. Drinnen rief man laut und freundlich »herein!«, und als Conrad öffnete, krachte eben wieder ein Schuß: hier im Zimmer hörte sich der Knall schon recht kräftig an.
    Unweit der Tür erhob sich in diesem weiten Raum – wo alles schlank und hoch schien, Kasten, Fenster, Vorhänge – von einer breiten Ottomane ein Herr im seidenen Hausanzug mit einer Schnur um die Mitte; vor seiner Brust hing ein großes Zeiß-Artillerie-Glas; die Scheibenpistole mit dem langen Lauf, welche er in der rechten Hand gehalten hatte, nahm er nun in die linke hinüber. Castiletz dachte sogleich, als er Herrn von Hohenlocher sah, an einen großen Jagdhund: der Gang war ganz in dieser Art, schmal und locker, und das bartlose Gesicht wies ähnliche Falten.
    »Hohenlocher«, sagte der Jagdhund, Conrads artige Vorstellung erwidernd. »Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Castiletz. Und entschuldigen Sie die Schießerei. Aber der eine mußte noch raus, ich lag gerade richtig.«
    »Sie schießen liegend?« sagte Conrad, sich rasch und höflich anpassend.
    »Ja, wegen der Faulheit. Sehen Sie, dort auf die Scheibe.«
    Am anderen Ende des langen Raumes war über dem Kamin eine große starke Scheibe von hellem Holze zu sehen und in deren Mitte das Blättchen mit den Ringen.
    »Und das Glas?« fragte Conrad.
    »Damit ich hier von der Ottomane die Treffer genau sehen kann. Nach zwanzig Schüssen wechsle ich dann das Blatt.«
    »Herrlich!« rief Conrad. »Sie schießen, und dann sehen Sie jedesmal durch den ›Zeiß‹?!«
    »Ja, doch. Ich sehe das Scheibenblatt dann so, als ob ich’s dicht vor mir hätte, und dabei brauche ich meine Lage kaum zu verändern. – Sie wollen also die Wohnung drüben besichtigen, Herr Castiletz; Frau Schubert wird Sie gleich hinüberführen. Mit ihr machen Sie alles ab, wenn Sie bleiben wollen.«
    Er drückte auf eine Klingel.
    Frau Schubert ging voran über den Flur (hinter ihnen fiel jetzt wieder ein Schuß) und sperrte jene Türe auf, daran sich der leere Metallrahmen befand.
    Die kleine Wohnung empfing mit der zurückhaltenden Frische und Kühle lange nicht benutzter, aber sauber gepflegter Räume. Die beiden Zimmer hier – aus welchen Herr von Hohenlocher dort drüben ein einziges großes gemacht hatte – wiesen glatt und rein ihre neuen Möbel; im fahleren Lichte späten Nachmittages blinkten Glas und Metall sanft in die Stille. Ein Fenster des rückwärts gelegenen Schlafzimmers öffnete sich gegen den halbkreisförmigen Hof, auf welchen die Torfahrt des Hauses nach hinten mündete; Conrad fiel es auf, daß diese sozusagen innere Seite des Gebäudes nicht die gleiche Farbe hatte wie die Straßenfront, sondern weiß getüncht war. Von hier sah man in überraschender Weise sanft bergab über viele Dächer gegen den Kern der Stadt zu. Der Himmel, in wechselnder Bewölkung, ließ jetzt Fernes und Kleines bei durchkommender Sonne erstrahlen, nun wieder im Dunst versinken. Am weißen Verputz des Hinterhauses stand, im Widerspiel zu solchen himmlischen Vorgängen, bald ein klarer Schein, bald ein sanftes Grau.
    Conrad wußte, daß er hier bleiben würde. Er sah auf die Klinker hinab, mit welchen der Hof gepflastert war, und besprach genau alles in Frage Kommende mit Frau Schubert. Auch bereits dieses, daß sie ihn morgen verläßlich ein Viertel vor sechs Uhr wecken müsse (»für halb sechs wird der Wecker gestellt, und sie kommt außerdem noch zur Sicherheit«, dachte er). Dann zog er die Brieftasche. Und (seines Vaters und dessen Lehren gedenkend) gab Conrad der Frau Schubert zum Einstande fünf Mark über ihren für die Bedienung vereinbarten Lohn. Eine Maus, könnte sie lächeln, würde es so tun, wie Frau Schubert es bei diesem Anlasse tat.
    »Am besten wird es sein«, sagte Herr von Hohenlocher, als Conrad wieder drüben angelangt war, »Sie schicken

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