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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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einzelne Windwolken trieben. Dieser zarte Schein schwebte für Augenblicke hier in dem weiten Raume mit den schweren, dunkelgehaltenen Polstermöbeln, den vielen Teppichen und der breiten bogenförmigen Öffnung gegen das große Speisezimmer, wo man mittags gegessen hatte. In einem der Fenster dort rückwärts stand die Krone eines Baumes sonnig in lebhaftem herbstlichem Gelb.
    »Und was macht Sie, abgesehen von Ihrer Jugend, besonders glücklich?« fragte Frau Manon.
    »Ja, das ist nicht so leicht zu sagen . . .«, antwortete er, »es ist eben das — — das Leben«, schloß er lebhaft, und wieder wölbte sich’s in ihm gleichsam auf, wie gestern abend im Einschlafen, und trieb ihn vor, wie eine Gallionsfigur am Bugspriet eines Schiffes.
    »Hoffentlich erfüllt es alle Ihre Erwartungen, Herr Castiletz, aber auch alle«, sagte sie lächelnd und hob ein flaches Likörglas. »Sagen wir also, es lebe, dieses Leben.«
    Conrad verneigte sich leicht und trank der alten Dame zu. Es darf hier nicht übergangen werden, daß er in diesen Augenblicken nahe daran war, ihr – die Anekdote von Onkel Christian und dem Zauberkasten zu erzählen, gewiß ein Anzeichen besonderer Castiletzscher Aufgeschlossenheit. Aber es kam nicht so weit. Das Gespräch nahm, wie’s schon zu gehen pflegt, eine Wendung, diesmal in eine andere vertrauliche Richtung, in deren Verfolg die herrschende Castiletzsche Aufgeschlossenheit der mütterlichen Zuhörerin gegenüber zu der bemerkenswerten Äußerung durchbrach, daß, wenn er jemals heiraten sollte, es nur ein Mädchen sein dürfe, das älter sei als er selbst.
    »Nun, Herr Castiletz, dieser Wunsch dürfte dereinst, wenn die Zeit dazu gekommen sein wird, so schwer nicht zu erfüllen sein«, sagte sie lachend, »im allgemeinen wird ja wohl das Gegenteil angestrebt.«
    Er hatte seine Einstellung dieser Frage gegenüber mit männlicher Bestimmtheit zum Ausdruck gebracht, und gerade deshalb vielleicht nahm Madame Laurencin seine Dogmatisierung einer sozusagen verkehrten Welt zunächst nicht ernst. Doch irrte die schöne alte Dame hierin, denn Conrad, eben während er so sprach, hatte an Reutlingen und die drei Absolvierten (Achalm) gedacht, mit lebhaftem Mißvergnügen (hintennach). Diese drei waren sämtlich noch jünger gewesen als er. Madame Laurencin hielt indessen schon wieder bei einem anderen Gegenstande, der ihr interessanter zu sein schien, nämlich beim geselligen Leben dieser Stadt hier.
    »Es gibt einige reizende Häuser bei uns, die Sie ja auch kennenlernen werden. Da ist aber zunächst einmal Ihre Tante, Frau von Spresse. Ich finde es immer außerordentlich und für ein Zeichen von Geist und Persönlichkeit, wenn eine ältere, alleinstehende und kinderlose Dame, der ihre Mittel das erlauben, ein Haus führt – und welch ein angenehmes obendrein! – und häufig Gäste empfängt. Ihr ist es wirklich fast gelungen, einen ›Salon zu gründen‹, wie man das in alter Zeit einst nannte, wenn in einer reinen Industriestadt wie hier von so etwas überhaupt die Rede sein kann. Dabei hat solche Gastlichkeit wahrhaft eine altruistische Note; sie macht es allen so angenehm wie nur möglich, sie ist mit ihrem Hause nur für die Gäste da, und um einen geeigneten Boden zu bilden beim Kontakt der verschiedenartigsten Menschen. Die Sitte, daß man ein Haus führt nur der etwa vorhandenen Töchter wegen und damit aufhört, sobald diese das Elternhaus verlassen haben, diese Sitte finde ich abscheulich. So ist es etwa zu Wien, wenigstens im älteren Wien war’s ein ganz unverhüllter Brauch.«
    »Sie haben dort gelebt, durch einige Zeit?« fragte Conrad beiläufig, den all das wenig interessierte.
    »Ja, als Mädchen, durch zwei Jahre etwa. Waren Sie nie dort?« »Nein«, antwortete Castiletz. Ganz unvermittelt schlich ein träger, schwerer Schatten über seine Züge, und er setzte hinzu: »Ich war noch nicht einmal in Salzburg.«
    Seine augenscheinliche Veränderung und Verdüsterung konnten ihr nicht entgehen. Sie fragte:
    »Hat diese Stadt für Sie eine besondere Bedeutung?«
    »Nein – «, sagte Castiletz langsam, »keineswegs. Es ist da schon alles in Ordnung. Aber – ist Salzburg nicht eigentlich sehr düster, einsam, meine ich, sagen wir mal – strenge?«
    Und er wußt’ es zugleich, daß Unsinn war, was er jetzt geredet hatte, und doch, so schien’s ihm, weniger unsinnig, wie wenn er etwa früher die Geschichte vom Onkel Christian –
    »Ja, wie denn das?!« rief sie, ohne ihr Erstaunen

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