Ein Mord den jeder begeht
ihm selbst.«
»Müßte es jedoch grundsätzlich nicht für alle gelten, wenn man’s nun einmal annimmt?« fragte Conrad in bescheidener Weise, jedoch klar und langsam.
»Richtig und logisch!« rief der Kommerzienrat und lachte wieder. Er lachte anscheinend oft grundlos. Bei ihm war dieses Lachen ein Ausdruck seines Wesens, wie bei anderen etwa eine bestimmte Handbewegung, also nicht so sehr Anzeichen eines Zustandes besonderer Heiterkeit etwa, sondern ein stehender Zug. Die Veiks stammten aus dem Rheinland, die Art des Alten war in mancher Weise dafür bezeichnend, nebenbei bemerkt auch die profunde Güte und die Menge der Weine, welche hier auf den Tisch kamen.
»Und nun muß ich Ihnen ja wegen des vortrefflichen Herrn von Hohenlocher und der Wohnung Bescheid sagen«, so wandte sich der Hausherr jetzt zu Conrad, »ich hatt’s ganz vergessen, irgendwas kam dazwischen – richtig, dann sprach ich ja mit dir, Liebling, und kriegte dich gleich ans Telephon, das war nett. Dieser Herr von Hohenlocher also, Herr Castiletz, ist Regierungsrat hier bei unserer Finanz-Landesdirektion und ein ganz famoses Haus, nebenbei bemerkt aus einer sehr alten hervorragenden Familie. Er wohnt in einem Gebäude, welches nur Kleinwohnungen enthält, nämlich in jedem Stockwerk drei, und er hat seltsamerweise ein ganzes Stockwerk gemietet, obschon er Junggeselle ist. Nun, Herr von Hohenlocher lebt sonst ganz zurückgezogen und leistet sich also den Luxus, keine Nachbarn zu haben. Zeitweise jedoch vermietet er, zwei Zimmer mit Bad, und Sie würden dort völlig ungestört sein, mit eigenem Eingang, er hat auch diesen Teil abgetrennt belassen: das wäre derzeit frei, und gar nicht teuer. Zudem ist die Straßenbahnverbindung zur Fabrik, und zwar zu unseren beiden Werken, von dort außerordentlich günstig und direkt.«
»Wie lange Zeit braucht man von dort in die Tuchfabrik?« fragte Conrad sogleich.
»Na, so ganz genau kann ich’s freilich nicht sagen, aber ich denke, höchstens an die zwanzig Minuten. Von hier aus dürften Sie allerdings fast eine halbe Stunde bis zu Herrn von Hohenlocher benötigen, denn das ist eine ganz andere Gegend, und wir sind mit dem Automobil hier herübergefahren. Würde Sie gern durch meinen Chauffeur hinbringen lassen, aber ich brauche jetzt den Wagen, weil ich wieder ins Werk muß. Da notiere ich Ihnen nun die Anschrift, Herr von Hohenlocher erwartet Sie um vier Uhr, und meine Frau, der Sie wohl noch ein wenig Gesellschaft leisten werden, erklärt Ihnen den Weg – ja, Manon? – Sie werden sich schon zurechtfinden.«
»Leicht«, sagte Conrad, »ich gehe von hier einfach bis vor zur Straßenbahnlinie 3 . . .« und nun gab er den Weg genau an.
»Donnerwetter!« lachte der Kommerzienrat, »das nenne ich rasche Orientierung!«
»Ich studierte den Stadtplan auf der Reise theoretisch und heute vormittags mit praktischen Übungen«, sagte Castiletz völlig ernsthaft. Diese Genauigkeit wirkte einigermaßen verblüffend, aber offensichtlich in einem günstigen Sinne auf den alten Herrn.
Kurz danach hörte man unten den Wagen aus der Einfahrt weich hinausschnurren und das Zufallen des Gitters. Im gleichen Augenblicke, als Conrad jetzt, gegenüber von Madame Laurencin, im Nebenraum an einem türkischen Tischchen Platz nahm, wo aus winzigen Schalen der Mokka dampfte, fühlte er sich unvermittelt und ohne jeden einzusehenden Grund von der Lage, in welcher er sich augenblicklich befand, unheimlich berührt, gegen jede Vernunft, jedoch sehr deutlich. Er rückte ein wenig auf den schweren Teppichen, die über seinem Sitze lagen, die innere Betroffenheit war es, welche sich da in eine hilflose kleine äußere Bewegung fortsetzen mußte.
»Und wie gefällt es Ihnen bei uns?« sagte sie.
»Ich bin glücklich«, antwortete er unvermittelt und hob seinen Blick von dem Perlmuttermuster, welches in die kleine vieleckige Platte des Taburettes eingelegt war. Jetzt, als er Frau Manon Veik ansah, bemerkte er ihre Gesichtszüge viel deutlicher als vorher, etwa, daß ihre Augen weit auseinander und etwas schräg standen. Diese Züge erschienen ihm jetzt kräftiger als früher, gewissermaßen bedeutender, und nun eben doch als die einer alten Frau. Ihr Kopf hob sich von einem persischen Wandteppich ab, dessen Mitte von hellem Blau war; und durch einige Augenblicke sah er Madame Laurencin vor einem neuen beweglichen Hintergrunde – nicht vor dem Fabrikhofe oder belebten Straßen – sondern vor einem blassen Himmel, darin
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