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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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welchem man hier arbeitete, war ein anderes, der Geruch rein und bitter, dem einer Sattler – oder Seilerwerkstatt verwandt; in saubere helle Holzkisten lief hinter den Bandstühlen das fertige Produkt mit trockenen, reptilischen Schlingen: Rouleauxschnüre, Traggurten, Zuggurten, Meter auf Meter, blaue oder rote Faden in die Sandfarbe von Jute, Hanf oder Flachs gewebt. Kein Schiffchen schlug. Der Lärm war verhältnismäßig geringer als in der Tuchfabrik, man konnte sich zwischen den Stühlen – deren je zwei eine Arbeiterin, am Laufbrette stehend, bediente – mühelos verständigen. Ein gleichmäßiges Rattern und Rasseln war’s, was diese Säle erfüllte. Reihenweis schwangen exzentrisch die Knäppen, ruhten die Trommeln von Holz oder Aluminium wie Rundschilde an den Stühlen.
    Allgemein gewöhnte man sich in der Gurtweberei daran – und zwar schon nach wenigen Monaten – in Conrad Castiletz eine Art Adjutanten des Direktors zu sehen, der zu allem herhalten mußte, im Betrieb wie in der Verwaltung, an den sich jedermann wandte (was sehr bald aus simpler Bequemlichkeit geschah), sei’s wegen einer besonderen englischen Wendung in einem Brief, sei’s wegen einer steckengebliebenen Haspel, oder auch einfach einer versagenden Klingel im Büro halber. Seine stets zur Anpassung bereite Gefälligkeit und der Umstand, daß er am Ende tatsächlich in jeder Sache den richtigen Handgriff kannte und einen Weg wußte, zogen ihm diese Plagen eines Mädchens für alles auf den Hals, verhinderten aber zugleich jede sonst wohl naheliegende Eifersucht und Mißgunst älterer Personen im Betriebe gegen den Neuling. Späterhin stellte sich heraus, daß eine ganze Reihe von Arbeitern und Arbeiterinnen anfänglich der Meinung gewesen waren, Conrad Castiletz sei ein junger Verwandter des Direktors Eisenmann.
    Dieser begegnete seinem Adlatus übrigens nicht selten mit einer recht schwäbischen ungeheuren Grobheit, wobei er Conrad stets duzte, und vielleicht war dies mit ein Anlaß dafür gewesen, daß man verwandtschaftliche Bande zwischen den beiden annahm. Wenn sich aber der alte Eisenmann endlich wieder zu Flüchen mittlerer Sorte herabließ – dann pflegte er Conrad auf den Rücken zu klopfen und ihm eine Zigarre anzubieten: welche dieser schon beim ersten Anlasse solcher Art recht geistesgegenwärtig in Empfang genommen hatte, ohne etwa den Nichtraucher hervorzukehren; das Geschenk fand seinen Weg zum nächsten Arbeiter. Und der alte Eisenmann bot seinem Adjutanten und Adoptiv-Gurtweber Zigarren an durch Jahr und Tag, ohne daß er ihn irgendwann hätte rauchen gesehen.
    Unter allem verödeten einzelne anfängliche Bachbetten des Lebens hier: zu diesen gehörte die Linie 3 der Straßenbahn, samt Haltestelle am nun schon lange wieder begrünten Parke, samt großem rotem Schild des Teegeschäftes . . . freilich wäre zur Gurtweberei Johann Veik und Söhne ganz ebenso die Linie 3 weiter zu benutzen gewesen, wie in die Tuchfabrik. Aber Castiletz fuhr nicht mehr mit der Straßenbahn ins Werk. Der alte Eisenmann hatte eines Tages kurz und (eigentlich seltsamerweise!) in grobem Tone erklärt, daß Conrad nicht so zeitlich morgens in den Betrieb zu kommen habe wie bisher, sondern erst gleichzeitig mit ihm: denn er gedenke ihn nun ausschließlich für sich zu beanspruchen. Nun mußte Castiletz alltäglich punkt halb acht Uhr morgens vor dem Hause in der Hans-Hayde-Straße 5 Posto fassen, und wenige Minuten später bog unten linker Hand das Werksauto um die Ecke, worin rückwärts der alte Eisenmann saß (jetzt ohne kurzen Pelzrock), dem die Hans-Hayde-Straße bequem am allmorgendlich zu fahrenden Wege ins Werk lag: einen Augenblick hielt dann der Wagen, der Adjutant wurde an Bord genommen und schon ging’s weiter. Des Morgens durfte man den alten Eisenmann übrigens nicht anreden; tat man’s dennoch, so konnte man ganz entsetzliche Ausdrücke zu hören bekommen, teils auch klassische, mittlerer Sorte.
    Anläßlich einer jener letzten Straßenbahnfahrten, die Castiletz in die Fabrik und von da wieder zurück machte, begegnete ihm ein alter Bekannter vom ersten Tage hier – und überfuhr ihn ums Haar, zusamt der Frau Schubert, welche den Zwischenfall eigentlich hervorrief. Bei der Birke, an der Ecke des Parks. Die Birke war jetzt, im Frühjahr, allerdings grün – nicht grellgelb wie jener Tankwagen, welcher aus der neben dem Park einmündenden schmalen Seitenstraße fast lautlos, aber schnell herangerollt kam: eben als Castiletz

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