Ein Mord den jeder begeht
Berta zur Seite stand, indem sie seinen Haushalt führte. Mit Ausnahme der Sommermonate lebte sie jetzt in der Stadt, und zwar in Conrads früherem Zimmer. Dieses versank damit sozusagen vollständig, wie einst mit dem Ende der Molchzeit die Au versunken war. Dort hatte man übrigens – wie Conrad bei einem kurzen und bald abgebrochenen winterlichen Gange mißmutig feststellen konnte – gebaut, überall gab es Vereine, Sportvereine, Erholungsflächen für geschlossene Gruppen und dergleichen, große Teile der Landschaft also, die man nur mehr als Mitglied solcher Körperschaften und als Berechtigter betreten konnte: für den einzeln und einsam schweifenden Menschen schien kein Platz mehr. – Den Vater fand Conrad soweit wohlauf. Noch tagte von Zeit zu Zeit der Vorstand des Fechtklubs ›Hellas‹, und den neckischen Ton als einzige Dame und als Hausfrau in dieser Runde hatte die Tante Berta bald zu treffen gelernt. Bei diesen Abenden wurde nunmehr auch Albert Lehnder zugezogen, obgleich er mit dem Fechten nie was zu tun gehabt hatte – oder höchstens in des Wortes übertragener Bedeutung – jedoch ward seine Anwesenheit durch manchen anderen Vorzug und durch seine gesellschaftlichen Talente gerechtfertigt. Lehnder hatte übrigens eine wertvolle Verbindung nach Berlin angeknüpft, das heißt, er hatte dort eine Art Gönner entdeckt, der ihm jetzt schon – nach bestandenen Prüfungen und während des Praktizierens – einen Platz in seiner großen Rechtsanwaltskanzlei offenhielt, auf welchen Beruf sich Lehnder denn mit Eifer vorbereitete; und nach äußeren sowohl wie inneren Gaben schien er dafür im höchsten Grade geeignet. Noch lebte Alberts treffliche preußische Mutter und er bei ihr.
Wöchentlich einmal pflegten Vater und Sohn Briefe zu wechseln: das Befinden betreffend, jedoch auch Beruf und Geschäft. Dies letztere befand sich nun bei Lorenz Castiletz in jenem Zustande, welchen der Kaufmann Liquidation nennt. Der Alte wollte sich zur Ruhe setzen. Klar erkennend, daß Agenturen, und seien sie auch auf den bedeutendsten, eingefahrensten und besten Beziehungen fußend, doch immer eine in hohem Grade mit der Person verknüpfte Sache bleiben müssen, als Erwerb unter Umständen sogar glänzend, als Erbgut allemal zweifelhaft – dies klar erkennend, hatte Herr Lorenz im Sohne eigentlich nie den Geschäftsnachfolger gesehen, sondern ihm seit jeher schon jene andere, bessere Laufbahn zugedacht: die Industrie. Nun galt es, die Vermögensverhältnisse des Jungen aufs beste einzurichten; und wenn der Vater diese Dinge in der Stille bei sich überdachte, dann erwiesen sich Conrads Glücksumstände wohl weit vorteilhafter noch, als irgendwer wissen konnte. Sein Fortkommen schien zudem gesichert: des alten Veik briefliche Töne waren bereits nach wenigen Monaten solche des höchsten Lobes geworden.
So ließ sich das Alter, trotz des schweren erlittenen Verlustes – wöchentlich besuchte Herr Lorenz das Grab – noch freundlich an. Einem so wohlgeratenen Sohn wie Conrad konnte man auch Scherzhaftes schreiben, etwa:
»Du fragst wegen der Katastrophe mit Louison Veik. Eigentlich sollte ich daraus sehen, daß ich ein schlechter Erzieher gewesen bin, denn, was etwa das Zeitungslesen betrifft, so habe ich, wie sich jetzt herausstellt, bei Dir damals keinerlei Erfolge gehabt, obwohl ich Dir bereits als angehendem Handelsakademiker dringend und oft empfahl, täglich eine Zeitung zur Hand zu nehmen, und Dir das genaue Lesen derselben anzugewöhnen. Freilich meinte ich nicht die Kriminalchronik. Aber, wie man sieht, hast Du auch diese nicht gelesen, obwohl sie Dich damals wahrscheinlich mehr interessiert hätte als der Handelsteil – nun, Scherz beiseite: diese entsetzliche und unaufgeklärte Sache ist mir im Gedächtnis geblieben. Den Wert des Schmuckes taxierte man mit irgendeiner hohen Ziffer, die ich nicht mehr weiß. Was aber den Zeitpunkt anlangt, so brachte ich nach einigem Nachdenken heraus, daß er ungefähr mit Deinem Besuch bei Tante Erika zusammenfallen dürfte; wahrscheinlich geschah das Unglück erst nachher, sonst hättest Du wohl in ihrem Hause davon sprechen gehört. Näheres weiß ich sonst nicht; dem Oheim drückte ich auf die Zeitungsnachricht hin damals mein Mitgefühl brieflich aus. Das arme Mädel selbst hab’ ich nicht gekannt.«
Bei dieser Gelegenheit stellte Conrad eine Veränderung bezüglich seiner eigenen Gewohnheiten fest. Wenn er jetzt abends nach Hause und aus dem Badezimmer kam, pflegte
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