Ein Mord den jeder begeht
Sie lächelte dabei, und die Linien der Selbstbehauptung zeichneten sich schärfer in ihrem Gesicht. Von Conrad wäre zu sagen, daß er sich geradewegs auf Marianne zubewegte, innerlich, und schon mit erwachender Überlegung. Es entging indessen beiden, daß die übrige Gesellschaft einen anderen, in spitzem Winkel abzweigenden Weg durch den Park erwählt hatte, sie hörten Stimmen und Lachen jetzt seitwärts zwischen Stämmen und Gebüsch, beachteten das aber nicht, sondern schritten auf den Eingang zum Obstgarten zu, wo neben dem Gatter ein alter Birnbaum stand, mit rundum laufender Bank, Sitz und Lehne grau von Sonne und Regen. Hier, in den Wipfeln der Obstbäume, waren da und dort strichweis schon die goldenen Banner des Herbstes aufgezogen. Marianne wies in die Krone auf die hangenden Birnen, und mit fünf Griffen war Conrad oben, seiner schönen porzellanweißen Hose nicht achtend. Er schüttelte maßvoll einen Ast; drei, viermal schlugen dumpf die Früchte ins Gras. Marianne bückte sich, schon war Castiletz wieder bei ihr herunten und las zuvorkommend die Birnen auf. Die Hüfte des Mädchens, um welche der steingrüne Stoff des Kleides spannte, streifte ihn gerundet dabei. Als er mit den Birnen sich aufrichtete, sah er, daß sie auf der Bank saß.
Er hielt ihr die Birnen hin und sie nahm eine. Gesprochen wurde nichts. Einmal atmete sie tief und seufzte ein wenig. Dabei sah sie ihn ruhig an, ganz ähnlich, wie er sie bei der Vorstellung betrachtet hatte. In ihrem Blick standen irgendwelche ihm unbekannte Maßstäbe und Vergleiche, das fühlte er wohl, und es machte ihn unruhig.
»Ja, wo sind denn die hingekommen?« sagte sie endlich mit Gleichmut und erhob sich. Beide gingen jetzt zurück, bis zur Abzweigung des Weges unweit vom Tennisplatz.
22
Zu Beginn des Winters fand ein größerer Empfang statt im neuen Heim des Präsidenten Veik, wohin Conrad inzwischen schon gekommen war, denn er hatte seinen ersten Besuch dort nicht lange nach jenem Spiel gegen Peter Duracher gemacht.
Diesmal brach er mit Herrn von Hohenlocher gemeinsam auf. Aus dem Mietwagen steigend und in die braungetäfelte Halle des Hauses eintretend, stießen sie auf den Baurat Georg Lissenbrech aus dem Bekanntenkreise Hohenlochers, oder genauer ausgedrückt, aus der »Sammlung Hohenlocher«, worin verschiedene Merkwürdigkeiten zu finden waren, wenn man recht zusah: äußerlich allerdings war Lissenbrech nur ein sehr gutmütig aussehender, etwas beleibter Herr, jetzt würdig im Gesellschaftsanzug. Die drei stiegen zusammen über eine ausladende Holztreppe empor. Hinter der ersten breiten Glastür fanden sie Frau Gusta, welche ihre Gäste empfing, ins Schwarz eines großen Abendkleides ganz versunken, das die gepuderten Schultern wie weiße Schwingen leuchten ließ. Vor allem aber strahlte hier die Zentralsonne des Hauses, nämlich der Hausherr selbst, groß, breit und fest und mit der unwiderstehlichen Gewalt einer strömenden guten Laune jeden in den Kreis ziehend; besonders junge Leute vermochte er mit drei Worten zutraulich zu machen, die er ihnen entgegenrief, wie man jemandem einen dicken bunten Ball oder ein Federkissen scherzhaft zuwirft. Conrad spürte einen leichten Rippenstoß, der alte Eisenmann gab ihm die Hand und sagte: »Freu‘ mich, daß du auch da bist, Bürschle.« Das Gedränge nahm zu, man konnte eben noch den Geheimrat begrüßen, der im Vergleich zu seinem Bruder klein und schmächtig wirkte. Conrad küßte Frau Manon die Hand. Nun schob der Strom die drei Ankömmlinge, welche zufällig wieder zusammengerieten, in den nächsten Raum, und weiter. Hier stand endlich Marianne, wahrhaft blond und herrlich, in einem Kleid von sehr glänzendem Stoffe, das sie – eine erst kommende Mode vorwegnehmend – bis über die Knöchel fallend trug. Der Ausschnitt bot sich verhältnismäßig klein, ihre hohe Brust wölbte darunter die Seide glitzernd auf; das Gewand war etwa nach alter spanischer Art geschnitten, wie eine knappe Jacke, verlor sich jedoch in fließenden Falten des Rockes, der unten mit einer weißen Federnkrause schwang. Marion hatte nicht Hände genug zu reichen, Gäste kamen nach Gästen. Herr von Hohenlocher, Lissenbrech und Castiletz gelangten aus dem Trubel. Raum nach Raum. Es wurde stiller. »Zigarette rauchen nach dem ersten Ansturm?« sagte Hohenlocher zu dem Baurat. Sie blieben hier, allein; es war ein kleiner Salon am Ende der Flucht.
Die beiden rauchten. Conrad, der diesen abgelegenen Raum nicht kannte,
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