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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Schubert neben den Kaffee die Zeitung zu legen, welche er seit einigen Wochen hielt. Der Griff nach dem Blatt war dann so selbstverständlich wie das vorhergegangene Schlüpfen in Pantoffel und Hausrock. Herr von Hohenlocher – den Castiletz selten sah – kam einmal um die Zeit dieses so etablierten Idylls herüber. »Lustige Hausschuhe haben Sie da«, sagte er und betrachtete die karierten Symbole der Bequemlichkeit (aber auch schlimmerer Dinge) an Conrads Füßen: vorne war eine Art Pompons zur Verzierung angebracht, die aussahen wie die Köpfe verblühten Löwenzahns. »Die Ihren sind schöner«, sagte Castiletz aufrichtig. »Alter Frackschuh – bester Hausschuh, braucht man nicht eigens zu kaufen«, erwiderte Herr von Hohenlocher, streckte sich und ging bald wieder.
    Noch in anderer Hinsicht gab es Veränderungen, freilich stellte Conrad diese nicht ausdrücklich fest. Wenn er jetzt, abends vom Werke zurückkehrend, oben am längst winterlich kahlen Park bei der Haltestelle der Linie 3 ausstieg und die Hans-Hayde-Straße hinabging – dann war dies eben eine ganz andere Straße geworden, und das lag nicht nur daran, daß die Jahreszeit ihm diese Häuserzeile jetzt beim morgendlichen Gehen und beim abendlichen Kommen nicht mehr im Lichte des Tages zeigte. Nein, man müßte da sagen, daß sich eine ganze Anzahl von früher bemerkten und anfangs sogar zur Orientierung benutzten Einzelheiten inzwischen sozusagen eingeebnet hatten – beispielsweise wurde das große rote Schild eines Teegeschäftes beim Heimfahren nicht mehr beachtet, welches lange Zeit hindurch die Einbiegung der Strecke zum Park und die richtige Aussteigestelle verläßlich vorgemeldet hatte. Nein, es gab jetzt Dutzende anderer bemerkter Weiser, an die man sich einzeln halten konnte, jedoch tat man nicht einmal das mehr: der ganze Brei zusammen genügte stumpf und sicher für den Weg. Und so ging es überall in der Stadt. Manches sah geradezu anders aus, vor allem die Fabrik, die ja nun in zahllose Einzelheiten aufgeblättert war; ebenso die Villa des Geheimrates Veik; nie mehr hätte Conrad diese zwei großen Räume, den Speisesaal und das angrenzende Gesellschaftszimmer, wiederum so zu sehen vermocht wie damals am ersten Tage, vom türkischen Kaffeetischchen aus, bei der schönen Frau Manon sitzend, zwischen der bogenförmigen Öffnung durch. Daß jetzt keine Baumkrone mehr herbstgolden dort rückwärts am Fenster stand, war der im Grunde kleinste Unterschied.
    Undeutlich fühlte er wohl die vollzogene Eingewöhnung – auch daheim in seinen kleinen Zimmern – und sie war ihm lieb, weil vom ersten Augenblick an erstrebt. Verwunderlich blieb nur, daß jedes Stück der Heimat, welches dann und wann in raschgleitendem und halbverborgenem Erinnern auftauchte, alles und jedes hier an Leuchtkraft übertraf, in seltsam befremdendem Lichte schwimmend wie in dem eines eben neu aufgegangenen Morgens, der noch keinem andern Ding geleuchtet hat als diesen Bildern von früher her, die sein Strahl als die ersten in der Welt zu treffen schien: sei’s Schulweg, Brücke, abendliche Gasse, oder der biegende Kanal mit den fernen Fabrikschloten dort drüben, gereiht wie Pfeile in einem Köcher.
    Im beruflichen Leben war bei Conrad sogar schon eine zweite Schicht über die erste der anfänglichen Eindrücke gelegt worden. Denn nach einigen Monaten hatte der alte Veik lachend (immer lachend) geäußert, er müsse Conrad nun von seinen geliebten Stühlen und Spindeln trennen und hinter den zweiten Schreibtisch in seinem Büro verbannen, denn da gäbe es allerhand zu tun. Um diese Zeit fand auch ein Gespräch zwischen dem Geheimrat und einem älteren Meister aus dem Webersaale III statt, wobei dieser in bezug auf Herrn Castiletz die Bemerkung fallen ließ, daß man in ihm einen vielseitig gelernten Mann habe, der nun bereits fehlen werde. Was dieser könne, habe er selbst schon am dritten Tage bemerkt, anläßlich eines »Blattschlages«, wo der neue Volontär beigesprungen sei, zum Wiederanknüpfen der abgebrochenen Fäden.
    Gleichwohl, nun mußte Conrad oben beim Geheimrat sein, der seiner eigenen Philologie nie so ganz sicher war, wie es schien: hier handelte es sich um ausländische Korrespondenz; eine Entlastung der mit diesen Sachen betrauten Arbeitskräfte war notwendig geworden, und das Wichtigste machte der Geheimrat gleich selbst, mit Castiletz. Viele Briefentwürfe hatte Conrad allerdings auch allein durchzuführen.
    Gerade diese wurden dann dem alten

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