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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

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gewährte.
    Die Sonne schien fest herein in all diese Gegenwart und auf den Tennisplatz und auf des Geheimrats riesigen bunten Schirmpilz dort oben: jedoch wurde dieser jetzt zusammengeklappt. Der Herbst erforderte solchen Schutz nicht mehr. Das Zusammenklappen besorgte, dem Geheimrat rasch zuvorkommend, der Herr von Hohenlocher, mit seltenem Tätigkeitsdrang. Ihm oblag es außerdem jetzt, beim Einzel zwischen Castiletz und Peter Duracher (dem neuen Prokuristen in der Tuchfabrik) zu schiedsrichtern, dessen Spielstärke noch nicht festgestellt war, denn Duracher erschien zum erstenmal hier auf dem Platze.
    Hohenlocher ging über die breite Plattform zu dem Bänkchen, wo der Geheimrat schon saß, während unten am Netz Castiletz und Duracher eine Münze warfen, da es zu entscheiden galt, wer als erster gegen die Sonne spielen sollte. Über dem weißen Hemdkragen leuchtete das starke Genick des Welschtirolers in tiefer Kupferfarbe, während er gegen den Boden und das fallende Geldstück sah. Duracher war kleiner als Castiletz, ein etwa Vierzigjähriger, der aussah, wie man sich die alten Römer vorzustellen pflegt, mit breiten Schultern und dickem schwarzem Kraushaar. Er war wohl außergewöhnlich hübsch zu nennen, mit seiner geraden Nase, nicht groß, aber stämmig. Beide sahen jetzt auf. Herr von Hohenlocher, statt sich zu setzen, hob den Arm über den Kopf und winkte mit einer für ihn eigentümlichen langsamen Bewegung zu dem Weg hinüber, der vom Hause über einen Wiesenplan zum Tennisplatz herführte. Mehrere junge Leute, Mädchen und Burschen, die heute bereits gespielt hatten, kamen den Weg entlang mit zwei Damen, von denen Conrad nur wußte, daß sie ihm unbekannt waren. Hohenlocher und der Geheimrat kletterten von der Tribüne.
    Nacheinander erlebte Castiletz zwei ganz verschiedene, ja, geradezu entgegengesetzte Formen des erstmaligen Zusammenstoßens mit einem neuen Gesicht, als er Frau Gusta Veik und dann ihrer Tochter Marianne vorgestellt wurde. Die Frau Landgerichtspräsident – von der man geradezu sagen konnte, daß sie schön sei, mit dem tiefschwarzen, kaum vom Grau berührten Haar – Frau Gusta Veik also wich mit ihrer ganzen Erscheinung gleichsam weich und bescheiden zurück. Ihre Tochter hingegen trat vor als ein Mensch, der sich zu behaupten gesonnen ist: eine beachtliche Woge blonden Haars und milchweißer Haut, in einer sichtlichen Fülle der Hüftgegend ruhend; und in dem schmalen Gesicht um Mund und Augen jene ersten eingezeichneten Linien, welche die Selbstbehauptung bei einem Mädchen von neunundzwanzig Jahren bereits notwendig machen, oder vielleicht auch gerade von dieser geübten Selbstbehauptung herrühren. Es kam so, daß Castiletz sie ruhig und ziemlich lange ansah, während er ihre Hand hielt und sich leicht verbeugte. Er bemerkte dabei, daß unter der sehr reinen und weißen Stirn Mariannens die Nasenwurzel verhältnismäßig tief einsprang. Ihre Kleider trug sie etwas länger als damals gerade üblich; Conrad beachtete das; er beachtete auch – als man auf den Bänken am Tennisplatz sich niederließ – daß Fräulein Veik stärkere Waden hatte, als der Mode gefallen konnte.
    Und nun mußte er spielen, man wollte doch Herrn Peter Duracher und ihn keineswegs davon abhalten. Er stand vor Marianne, die dasaß, und verließ jetzt ungern dieses Fleckchen Boden, auf dem seine Füße ruhten. In ihm formte sich seltsam deutlich der Gegensatz zwischen dem schmalen, fast mageren Gesicht des Mädchens, und ihrer sonst so fraulichen Erscheinung.
    Die Gegner traten an – und waren während des ersten Satzes schon erstaunt. Beide kamen sozusagen nicht weiter, stießen an eine Wand, keiner von ihnen konnte die Führung übernehmen, und das Spiel zog sich übermäßig hin. Die Spielstärke schien bei Duracher und Castiletz so gut wie vollkommen gleich, auch die Bedingungen hatten sich nunmehr ausgeglichen, da die Sonne den Platz infolge zwischenliegender Baumwipfel fast ganz verließ. Es gab Beifall bei schönen Einzelheiten, auf der, auf jener Seite. Das Ergebnis war so gut wie nichtssagend. Das Spiel war für beide Teile anstrengend gewesen.
    Conrad atmete noch tief, als er die bunte Jacke über die Schultern warf. Man ging durch den Park. Er war mit Fräulein Veik den anderen etwas voraus. Er preßte das Taschentuch vor die Brust, welche feucht war, wo das Hemd offenstand, und fühlte, daß sie ihn ansah. »Sie werden sich verkühlen, ziehen Sie Ihre Jacke an«, sagte Marion, und er tat es.

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