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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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langsamer, aber auch tiefer erschrocken als vorhin über jenen Schrei – gegen die Türfüllung und sah in den weiten Vorraum hinaus, der durch das Licht aus dem kleinen Salon hier zum Teil erhellt war. Dieses Heim lastete plötzlich auf ihm wie ein stummer Zauberkreis, dessen Formel und Schlüssel verlorengegangen schienen, darin man nun eingeschlossen saß.
    Er lauschte. Vom Badezimmer her war nichts zu vernehmen.
    Mit langsamen und ihm nicht ganz gehörenden und gehorchenden Schritten begann er in das Vorzimmer hineinzugehen und gelangte bis zu der Insel von Tisch und Stühlen. Das Metall der Möbel glänzte im einfallenden Lichte da und dort auf. Castiletz ließ sich nieder, vorsichtig, wie ein Mann mit einem Stelzfuß, ohne den Sessel zu rücken.
    Es blieb still. Dann horchte er auf: Wasser plätscherte. Das klang fast beruhigend.
    Und dann lautes stoßweises Schluchzen, gleichmäßig schwellend; sie weinte, wie jemand etwa, der in tiefen Zügen trinkt.
    Conrad fuhr auf, und seine Beine wurden kalt bis über die Knie. Dann trugen sie ihn mit fünf Schritten bis zur Türe des Badezimmers. Nun war das Schluchzen stark, nahe. »Marianne«, rief er und klopfte. Da sie nicht antwortete, versuchte er die Tür zu öffnen. Sie gab nach, sie war unversperrt. Seine Frau stand gleich dahinter.
    »Um Gottes willen . . .« sagte er, in einem fragenden Tone.
    »Ja, um Gottes willen!« rief sie, unter stoßweisem Hervorschießen ihrer Tränen, das andauerte. »Das sagst du jetzt... aber du hast angefangen! Man darf nur ihren Namen nennen ... schon kommt für mich ein Unglück. Du bist stundenlang bei der Mutter gesessen, mit ihren Bildern . . . soll ich nie von ihr frei werden?! Nie?! Mein Leben hat sie verdorben, in meiner Jugend mich halb zu Tode gequält ... Nun kommst du: und wieder – Louison, Louison. Wie entsetzlich das war, dieser Schrei! Das ist sie, das hat sie gemacht. Sie will unsere Teestunde nicht. Nie mehr werden wir eine haben. Aber ich will Louison nicht, hier nicht. . .«
    »Nein!« schrie sie plötzlich gellend, »nein! genug! sie hat mir alles verdorben, immer, als Kind schon, o du ahnst es nicht. . . nie mehr will ich von ihr hören . . .«
    Er war fast glücklich darüber, daß sie nun tobte. Und, hätt’ er genauer sich zu prüfen vermocht in diesen seltsamen Augenblicken: dann wäre ihm nicht verborgen geblieben, daß die Unmöglichkeit, seine Frau jetzt tröstend in die Arme zu schließen, ihn erleichterte. Mit einer Unbedingtheit, welche zur Hinnahme des bewegten Vordergrundes zwang und die Ruhe dazu verlieh, lag die Tote wie Landschaft im Hintergrunde, mochte gleich die Lebende mit den Armen um sich schlagen. Und wenn ein Ausweg blieb aus der Umwallung dieser gegenwärtigen Lage, dann war solcher Ausweg fern, aber in irgendeiner Weise erreichbar, und wie der letzte grüne Streif des Abendhimmels über dem Horizont. Conrad war vollständig ruhig; und so hielt er, in eigentümlicher Weise, Louison Veik die Treue mitten im Sturmgebraus.
    Es klirrte, Glänzendes zersprang, regnete in die Badewanne. Marianne hatte das nächststehende Glas ergriffen und gegen die Kachelung geschleudert. Nun sank sie zusammen und Conrad in die Arme, ihr Gesicht ruhte an seiner Schulter. Er roch ihr Haar, das trocken und puppenhaft harmlos duftete, wie Flachs oder Watte.
    28
    Wenn jemand bei sich in bezug auf irgend etwas »Unsinn!« sagt, so zeigt das meistens an, daß er damit nicht fertig geworden ist.
    Ein Nachteil allerdings wurde zugegebenermaßen immer fühlbarer für Conrad bei dem Umstande, daß er nicht mehr alleine in einem Zimmer schlief: jene kleinen Augenblicke der Sammlung, deren er bedurfte, um den näheren und weiteren Raum seines Lebens zu überblicken und zu sehen, ob da alles in Ordnung sei – jene Augenblicke hatten sich während der letzten Jahre mehr und mehr mit der liegenden Stellung, vor dem Einschlafen und nach dem Erwachen, verknüpft. Und nun, wenn er diese Ringe, von innen her beginnend, weiter ausbreitete, stieß er sozusagen rechter Hand an seine Frau. Drüben, Hans-Hayde-Straße 5, war es dann und wann vorgekommen, daß er des Nachts, zum Zwecke solcher rascher Kontrollgänge durch seinen Lebensraum, sich sogar erhoben hatte, aufrecht fortsetzend, was er in liegender Stellung begonnen. Das blieb nun hier ausgeschlossen, denn es hätte ja Fragen hervorgerufen.
    Conrad war selten allein zu Hause: Und im Anfang nützte es ihm auch nicht viel. Die Lautlosigkeit, welche diesen Räumen insofern

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