Ein Mord den jeder begeht
konnte. »Sollten noch ein Autodafe veranstalten, bevor die Schubert den Rest einpackt«, meinte Herr von Hohenlocher, »es gibt doch Dinge, die man nicht in die Ehe bringt, ich meine Briefe und dergleichen.« Er wies auf die Wandbretter, wo Hefte, Zeitungen und Bücher geschichtet lagen.
Nein, Conrad hatte überhaupt nichts von dieser Art.
Er griff plötzlich in die Hosentasche, entnahm dem Seitenfach seiner Geldbörse einen Schlüssel und sperrte den flachen, gelben Lederkoffer wiederum auf. Das blaue Heft, das sich ein letztes Mal hierher noch hatte flüchten können, kam aus dem gefältelten Atlas hervor. Herr von Hohenlocher zückte sein Benzinfeuerzeug, da Castiletz als Nichtraucher vergeblich nach Streichhölzern suchte. Der Flammenbausch wurde von Conrad mit einer das Ziel verfehlenden und hastig-stumpfen Bewegung gegen das Maul des Ofens gestoßen, er schlug seine Hand an und beschmutzte sie, aber jetzt fiel das schon hellauf brennende Heft endlich ins schwarze Innere, gewann Zug, spreizte sich in verkohlenden Blättern und stürmte lichterloh empor. Als Conrad dessen inne ward, daß er die Pierrot-Karte Günthers mit verbrannt hatte, da sie wieder im Hefte befindlich gewesen, erschrak er ernsthaft. Und für eines Gedankens Länge schien ihm nichts so sehr einen eingetretenen Abschnitt seines Lebens zu bezeichnen als gerade dieser kleine. Umstand.
27
Das Vorzimmer war sehr groß, nahezu quadratisch, der Fußboden mit graugrünem Stoff bespannt. Rechter Hand, weit entfernt, inselten einige neuzeitliche metallene Sitzmöbel in dieser Ausgedehntheit. Rückwärts lag milchweiß das Tageslicht in gedrungenen Glastüren, die zu den Wohnräumen führten. Davon gab es links, gegen den Park zu, das Schlafzimmer nebst einem auffallend leeren großen Raum daneben, in welchem eigentlich nur Kasten standen, der »Ankleidezimmer« hieß und einmal ein Kinderzimmer werden konnte. Daran schloß sich ein kleiner Salon im strengen Stile des sogenannten Empire, mit Mariannes Schreibtisch und sonstigen Attributen einer Dame. In der Ecke des Hauses lag das große Gesellschaftszimmer, mit Fenstern nach beiden Seiten, gegen die Weißenborn – und gegen die Hans-Hayde-Straße. Es war luftig möbliert, das heißt nicht überreichlich, hatte in der Mitte keinen Teppich, sondern die große Fläche spiegelnden Parkettes wie im Sprichwort und zwei Gruppen goldner Sesselchen mit geblumten Bezügen. Folgte das Speisezimmer: dunkel und ernst, wie nun solch eine pünktliche Mahlzeit einmal ist, deren Stunde angezeigt wird von einer Uhr mit Kirchenklang. Daneben das Arbeitszimmer des Hausherrn, wo, vom breiten Diplomatenschreibtisch sich erhebend, er zwischen der Tür hätte erscheinen können, im Augenblicke des Erklingens der Domglocke: denn, wenn die Suppe zwölf schlägt, muß die Uhr am Tische stehen – nein, umgekehrt, versteht sich, denn diese Uhr auf den Tisch zu stellen, das wäre ganz unpassend gewesen, sie war zwei Meter hoch, oder noch mehr.
Außerdem wurde bei Castiletz’ um halb ein Uhr gegessen, wozu der Wagen den Hausherrn aus der Fabrik holte. Nur sonntags kam Conrad dort vom Diplomatenschreibtische, woran er zunächst jedoch niemals etwas schrieb. Die gläserne Platte ward beruht von einigen wuchtigen Gegenständen und einer ledernen Schreibmappe inmitten, neben welcher ein riesiger elfenbeinerner Brieföffner mit schwerem Silbergriff lag; für einen Urmenschen wäre das zweifelsohne eine begehrenswerte Waffe gewesen, dieses Hochzeitsgeschenk des Direktors Eisenmann.
Solche Weiten möbeltischlerischer Landschaft, welche des Abends dunkel um das erleuchtete Gemach des jungen Paares ruhten, erfüllten sich nicht alsobald mit Leben, sondern erhoben zunächst nur Forderungen danach, überdies jedoch solche in bezug auf ihre ständige Pflege durch Hausfrau und Dienstboten, wobei der stets spürbare säuerliche Geruch der neuen Polituren und der strengere des Leders ein unhörbares und unaufhörliches Wort redete. Jene Räume also, welche (etwa in Conrad) vor gar nicht langer Zeit noch erfüllt gewesen waren von dem Bildertumult seiner Erwartungen, wie von einer aufgewiegelten dampfenden Volksmenge – sie standen jetzt pazifiziert und, wenngleich möbliert, doch gewissermaßen leer. Was hier nun einrücken mußte, bereitete ihm in den folgenden Wochen und Monaten eine bisher gar nicht gekannte Schwierigkeit: der tägliche Werktag. Dies Gewohnte erforderte jetzt erheblichen Kraftaufwand, ja, es deckte ihn oft bis zur
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