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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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innewohnte, als in dem verhältnismäßig neuen Hause alle Türen und Schlösser geräuschlos sich schlossen und einschnappten, die völlige Gedämpftheit des Trittes in dem weiten Vorzimmer, das alles hatte zur Folge, daß man wie ein Geist und beinahe für sich selbst befremdlich, wenn nicht gar unheimlich, durch diese zur Verfügung stehenden Weiten irrte. Außerdem aber glaubte er sich oft noch allein, und war es längst nicht mehr, da Marianne inzwischen nach Hause gekommen; und selbst das gespannte Ohr konnte, etwa vom »Bibliothekszimmer« aus, ihr Eintreffen überhören, denn die Türe vom Stiegenhause her gab nicht den leisesten vernehmbaren Ton beim Aufsperren, wenn das neuzeitliche Schloß dem leichten Drucke des Stechers gehorchte.
    Mit der Zeit allerdings bildete sich um die breite Ottomane im Schreibzimmer – das solchermaßen eigentlich zu einem Liegezimmer wurde – der gewünschte, abschließende Ring gegen die übrige Wohnung, dessen Festigkeit späterhin sogar vorhielt, wenn die Räume durch Marianne oder auch von dem oder jenem dienstbaren Geiste mäßig belebt waren. All solche Belebung war mäßig. Einem großen Haushalt entstammend, den sie in den letzten Jahren meist allein geführt, kannte Marianne keine Schwierigkeiten und Verwicklungen domestikaler Art, um so weniger, als ihr ja bestgeschulte Hilfskräfte nicht fehlten.
    So vermochte doch ringweise der Raum des Castiletzschen Lebens sich von der Ottomane auszubreiten, ohne anzustoßen, und in alter Wachsamkeit wurde so manches ordnungsweise überblickt. Als nächstes die Wohnung hier und diese Ehe. Daran schien für Conrad (also im Sinne der Ordnung) bemerkenswerterweise entscheidend und zwar erstrangig entscheidend, daß diese Sache keineswegs – umsonst war. Er hatte immerhin auf seine Freiheit verzichtet. Dieser letzte vage Begriff wurde von Castiletz, welcher ja kein Denker von Beruf war, nicht näher untersucht. Sonst wäre er vielleicht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Begriffsbildung aus Reutlingen stammte. In diesem Sinne also schien ihm alles in Ordnung zu sein, eine Ordnung, welche überdem noch vor einer weiteren beruhigenden, ja, man möchte fast sagen, vor einer sonoren Folie stand: er selbst war als Erbe seines Vaters ein wohlhabender Mann geworden und hätte den gegenwärtigen Rahmen seines Lebens beinah aus eigenen Mitteln ebenso aufrechterhalten können. Es wäre unmöglich gewesen, einen Erweis dafür zu erbringen, daß jene Erbschaft bei der Familie Veik irgendeinen Eindruck gemacht habe. Und doch wußte Conrad Castiletz mit Sicherheit, daß dieser Eindruck, zu seinem Vorteil, im Schoße der Familie wohnte. Auch war ihm bekannt – durch Eisenmann – daß man sich mit der Absicht trug, in einiger Zeit dem Schwiegersohn Prokura in der Gurtweberei zu übertragen, womit man nur wegen dessen großer Jugend noch zögerte. Eisenmann wünschte diese Befestigung der Stellung Conrads; dessen geringe Zahl der Jahre war außerdem, trotz seines frischen Aussehens, für niemanden eine recht anschauliche Tatsache, da es nicht möglich gewesen wäre, bei ihm etwas wie »mangelnde Reife« zu empfinden. Er wirkte etwa wie dreißig: das unbestimmteste Alter.
    Jedoch von der Ottomane aus waren solche Gegenstände des Denkens noch innere Ringe und sozusagen Vorspiele. Sie wickelten sich ab, wenn ihm um sechs Uhr der Kaffee hier hereingebracht wurde, wie zu seiner Junggesellenzeit, jedoch nicht eben mehr von der Schubert, sondern von einem Stubenmädchen mittleren Alters, das auch die Hausschuhe vor den Diwan stellte und dafür die Straßenschuhe, welche Castiletz nun ablegte, mit sich hinausnahm.
    Seit einigen Tagen gab es hier im Zimmer Blumen, eine Aufmerksamkeit Mariannes, darunter zwei Hyazinthenstöcke. Ihr neuer, stark belebender Duft schlug sich vor Conrads Nase mit dem Geruch der Zeitung herum, die er las, und obsiegte. Castiletz ließ die Zeitung sinken und lehnte sich zurück. Wie erwartet, ja, wie auf ein Signal hin, drängten jetzt blank und lebendig Erinnerungen aus früheren Räumen seines Lebens heran, ein Andrang, oder besser Anhauch, der die letzten Tage schon gekennzeichnet hatte. Alle diese Bilder waren solche aus der Heimat, schwammen in seltsam befremdendem Lichte, wie in dem eines eben neu aufgegangenen Morgens, ließen Geschmack und Geruch, der ihnen zugehörte, in den Mund, ja, das entsprechende Körpergefühl in den ganzen Leib treten. In diesen ersten augenblickslangen Trennungen von dem Leben, das er jetzt

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