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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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völligen Ermüdung zu; und daß dieser Zustand Castiletz beunruhigte, eben dies machte den Verbrauch seiner Kräfte keineswegs geringer. Er stand nun schwer auf des Morgens und hatte stets Besorgnisse und Vorsorgen wegen des Mädchens, der Weckeruhr, der Zeit in der Frühe.
    Im Schreibzimmer, oder auch »Bibliothekszimmer«, wie es neuestens hieß, hatte sich ein ungeheurer amerikanischer Bücherschrank breitgemacht, dessen Ansprüche nicht leicht zu befriedigen waren, jedoch befriedigt werden mußten, da er sie mit schamlos klaffender dunkler Leere vortrug. Conrad besaß kaum Bücher. Was der gelbe Lederkoffer enthielt, war hier nur ein schlechter Witz und ein Regentropfen in eine Tonne (die beiden Schriften ›Die Färberei‹ und ›Chemische Bearbeitung der Schafwolle‹ pflegten jetzt übrigens auf dem breiten Schreibtische zu liegen, aber Castiletz brauchte abends nur den Sessel unter sich zu spüren und schon machte die Müdigkeit solche Lektüre ganz unmöglich). Auch Marianne hatte sich nie um Bücher gekümmert. Jetzt indessen ging sie auf Beute aus im Elternhause und beschlagnahmte dabei, außer einem Konversations-Lexikon und etwa vier bis fünf Fuß Klassikern, einen Teil der Bücherei ihrer verstorbenen Schwester, wobei sie von den sehr vielen Büchern allerdings nur jene nahm, die ihr Interessantes zu bieten schienen, also etwa Romane, deren Titel anziehend klangen oder deren Schauplatz, beim raschen Durchblättern festgestellt, sie empfahl.
    Es hing mit diesen literarischen Maßnahmen zusammen, daß die Eheleute nunmehr abends in ihren Betten zu lesen pflegten, Marianne übrigens gar nichts geringeres denn Andre Gides ›Falschmünzer‹, welches Buch ihr ganz gut gefiel.
    Conrad für sein Teil erblickte zum ersten Male Louison Veiks Namenszug beim Öffnen eines aus dem Englischen übersetzten Abenteurerromanes, vorn im Buche. Es traf ihn hier und jetzt wie die Berührung eines Nervs, wie das Einlaufen einer überraschenden Botschaft. Er schloß das Buch sogleich wieder und sandte aus dem Augenwinkel einen Blick zu seiner Frau hinüber, die mit dem Rücken gegen ihn lag, der Bettlampe beim Lesen zugewandt. Nun öffnete Conrad wieder den Umschlag beim Titelblatte. Hier stand: Louison Veik. Die Schrift war weder modisch noch nervös. Sie sah aus wie eine jener schönen und sorgfältigen Handschriften aus alter Zeit; kugelig und deutlich waren die einzelnen Zeichen aus der Feder geflossen. Castiletz las nicht viel an diesem Abende. Zwei – oder dreimal sah er dazwischen die Schrift an. Bald überwand ihn der Schlaf.
    Am nächsten Tage, der ein Sonntag war, speiste man bei den Eltern, was sich so eingebürgert hatte, ebenso wie eine Teestunde der jungen Eheleute um fünf Uhr in dem kleinen Empiresalon neben dem »Ankleidezimmer«, wo das Mädchen vor Antritt ihres sonntäglichen Ausganges alles sorgfältig vorzubereiten pflegte, so daß nur der Stecker in die Dose zu schieben blieb. Der Raum hier und die Tageszeit des späten Nachmittages und herankommenden Abends konnten ein sozusagen fertiges Behagen bieten, woran sich anzulehnen und worin sich einzuspinnen nicht schwer hielt. Zudem war eine Art Pietät im Spiele: die Gepflogenheit stammte aus der allerersten Zeit von Mariannes und Conrads gemeinsamem Haushalte.
    An diesem Sonntage nun, etwa zu Anfang des Monats März, und bei dieser Teestunde war es, daß Conrad mit seiner Frau, eigentlich zum ersten Male, ausführlicher und eingehender über Louison sprach. Er hatte sich auf den Boden ausgestreckt, wo ein Eisbärfell lag: dies pflegte er hier immer zu tun. Der kleine Gaskamin, dem zugekehrt Castiletz ruhte, war eingeschaltet worden und warf mit seiner kupfernen Höhlung eine niedere, gerade Bahn von Licht und Hitze gegen Conrad und über diesen weg auf die Beine Mariannes, die noch am Teetisch saß. Die scharfe Lichtbahn aus dem Kamine machte die Dämmerung in dem kleinen Salon viel tiefer, als sie war, das Zimmer erschien fast dunkel.
    »Ich besitze beinahe nichts von ihr, nur Kleinigkeiten«, sagte Marianne. »Es wurde alles rasch verschenkt. Übrigens hatten wir die Gepflogenheit, dann und wann Dinge zu tauschen, nämlich solche, die wir beide ganz gleich besaßen. Wir sind am selben Tage konfirmiert worden, obwohl ich ja älter war; dabei erhielt jede von Tante Manon das gleiche Paar Beryll-Ohrgehänge, in Gold gefaßt. Nach ein paar Jahren tauschten wir sie, so daß ich heute eigentlich jene Louisons habe.«
    »Ich sah sie jedoch nie an dir«,

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