Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
ab; jetzt berührte ihre Spitze Conrads Weinglas. Er fühlte, gerade in diesem Augenblicke, daß es unmöglich sei, den Fall Louisons auf sich beruhen zu lassen, nämlich für ihn ganz unmöglich.
    Der Präsident schwieg. Sein großes rasiertes Gesicht sah bekümmert aus, jedoch keineswegs zerquetscht vom Gram und der Last des Lebens; auch jetzt bewahrte es den kräftigen Ausdruck einer gesammelten Intelligenz: sie war nicht kühn, sie rührte wohl nicht an jene Gründe, die dann ihre Fragwürdigkeit erwiesen hätten; jedoch sie war den Aufgaben dieses Lebens zweifellos gewachsen und menschlich gehöht durch den Resonanzboden der Erfahrung, auch der leidvollen. Robert Veiks Antlitz hatte etwas Nordländisches an sich, er hätte mit seiner Stumpfnase, den breiten Wangen und den nicht sehr tief eingebetteten Augen für einen Schweden gehalten werden können. Das blonde Haar war kurz und kraus und rückwärts am Kopfe noch dicht.
    »Ganz abgesehen davon mußte ich, nach genauer Überlegung, dahin gelangen, Peitz für völlig unschuldig zu halten. Hier drängte sich denn alsbald der Gedanke auf, wie einem da selbst zumut geworden wäre; als Unschuldiger eines Raubmords verdächtigt und wochenlang in Polizeihaft. Der Mann hat vielleicht schweren Schaden in seinem Geschäfte erlitten, für welchen ihm keinerlei Ersatzanspruch zustand, von der moralischen Seite der Sache ganz zu schweigen.«
    An dieser Mauer also stand Conrad Castiletz und suchte da unvernünftigerweise und trotz allem eine Tür! Sein Blick fiel schon die ganze Zeit hindurch auf eine große Photographie unter Glas und Rahmen, welche über dem ledernen Sofa ihm gegenüber an der Wand hing. Es war eigentlich ein Porträt, nur eben nicht das eines Menschen, sondern – einer Katze, einer Angorakatze, deren schöner Kopf die ganze Bildfläche füllte. Der abgrundtiefe Blick dieser groß geöffneten, stark gewölbten und etwas schräg im Kopf sitzenden Augen übte selbst aus dem leblosen Bilde eine Wirkung, die fast überwältigend zu nennen war und diesem Katzenhaupte die Majestät einer Art von Tiergottheit verlieh.
    »Louisons Kater«, sagte der Präsident, welcher bemerkte, daß Conrad das Bild ansah. »Tschitschi-Peter hieß er und ist nicht lange nach ihr gestorben. Sie liebte ihn sehr und behauptete oft, er sähe ihr aus Sympathie ähnlich.«
    »Das kann durchaus möglich gewesen sein«, sagte Conrad lebhaft, »soweit ich Bilder Louisons kenne ... die schrägstehenden, etwas von den Wangen hinaufgedrückten Augen zum Beispiel...«
    »Du siehst manchmal auch aus wie eine Katze, Koko«, sagte der Präsident.
    Albert Lehnder pflegte seinerzeit dasselbe zu sagen, nun fiel es Conrad ein. »Demnach könnten Louison und ich eine entfernte Ähnlichkeit haben, auf dem Umwege über die Katzen«, erwiderte er.
    »Ja!« rief der Präsident und lachte. »Aber, allen Ernstes: zwischen dir und Louison besteht irgendeine physiognomische Verwandtschaft, das wußte ich vom ersten Augenblicke an, als du zum ersten Male hierherkamst. Tatsächlich, es ist merkwürdig!«
    Sie schwiegen, Robert Veik füllte die Gläser nach. Dann verschwand sein Gesicht hinter einigen Rauchwolken, und daraus hörte man ihn jetzt folgendes sagen:
    »Ja, sie ist empfindlich in dem Punkt, Marianne, wie du wohl auch schon bemerkt haben dürftest. Man versteht denn hier manches besser in Kenntnis der Vergangenheit. Jener Mann, um den es sich damals handelte, war ein bedeutender Mann; er lebt übrigens nicht mehr. Seine Anwesenheit damals in Leipzig hing mit einer Ausstellung französischer Meister der Gegenwart zusammen, als deren Vertreter er das Hängen der Bilder beaufsichtigte; zudem war er selbst von dieser ganzen Gruppe der im Ausland bekannteste, ja man kann sagen der berühmteste. Derainaux – so hieß er, den Namen hast du wohl schon gehört – war damals etwa fünfunddreißig, also weit älter als meine beiden Töchter, auf dem Gipfel seiner Erfolge und ein herzerfreuend schönes Mannsbild. Er hielt, nach Eröffnung der Ausstellung, einen Vortrag in deutscher Sprache über die französische Malerei der Gegenwart; meine Frau und ich gingen hinein und Marianne begleitete uns, mehr zufällig denn aus Interesse für den Gegenstand. Ein paar Tage danach ist Derainaux zum ersten Male in unser Haus gekommen – zu uns kam damals jeder, unser Bekanntenkreis in Leipzig reichte sozusagen überallhin und war einem weitgespannten Netze vergleichbar, worin sich alles fing. Der Leipziger Veranstalter

Weitere Kostenlose Bücher