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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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protestierte Herr von Hohenlocher, »wenn ich morgen zum Beispiel eine Steuersache beurteilen soll, ist dann das Ergebnis meiner Arbeit auch nur eine Ausdünstung?«
    »Ja«, sagte Doktor Inkrat, »wenn Sie auf den Steuerakt irgendeines Ihnen völlig fremden Menschen spontan zu reagieren pflegen, dann schon.«
    »Das kann man unmöglich verlangen«, bemerkte Doktor Velten.
    »Man könnte ja schließlich auch ein temperamentvolles Verhalten für das menschlich wertvollere halten«, sagte der Baurat, dem nun alle sich zu wandten, da er zum ersten Male an diesem Abend eine eigene Meinung aussprach, »also etwa: Wutausbruch mittlerer Stärke beim bloßen Anblicke der Schrift einer Partei und daraus folgende steuerliche Vernichtung derselben soweit wie möglich.« Seine Augen traten ein wenig vor, wie durchsichtige Kugeln.
    »Und so spricht ein Feldherr, dessen Sache ruhige Überlegung sein sollte!« rief Hohenlocher. »Aber schlimmer finde ich es noch, daß ein Kriminalist nicht an die Logik glaubt, auf welcher er hohe Schule reiten sollte.«
    »Rein logische Urteile gibt es im praktischen Leben überhaupt nicht«, sagte Doktor Inkrat, immer noch unbeweglich am Kamin verharrend, »und schon gar nicht in der Kriminalistik. Auf diese Weise ist noch kein Fall aufgeklärt worden. Auch in der Medizin gibt es keine rein formalwissenschaftliche Diagnostik, wie Ihnen der Doktor Velten, falls er nicht zu faul dazu ist, sicher gerne bestätigen wird.«
    »Zu faul«, sagte Velten leise und in bekümmertem Tone.
    »Er behandelt Verrückte, denen er Masken aufsetzt«, sagte Hohenlocher. »Wo bleibt da die Logik!«
    »Sie bleibt als Verpflichtung und als ein Maß, dem wir uns immer annähern wollen«, erwiderte Inkrat. »Ein Polizist hat zum Verbrecher, ein Arzt zum Patienten jedoch weit tiefer liegende Beziehungen, und sie sind es, durch welche hauptsächlich was ausgerichtet wird. Im übrigen erinnere ich Sie daran, daß ich seit sieben Jahren nicht mehr der Kriminalpolizei angehöre – Sie wissen wohl seit wann – sondern dem weit harmloseren Personalreferate.«
    »Seit Sie im Falle Louison Veik falsch ausgedünstet haben«, sagte Herr von Hohenlocher vergnügt und bissig und zog die Nase in Falten.
    »Ganz recht«, entgegnete Inkrat. »Ich kam an die Grenzen dieser Wissenschaft und ließ mich in eine andere Abteilung versetzen.«
    »Dieser junge Herr ist mit der Schwester der Ermordeten verheiratet«, sagte Hohenlocher und wies auf Castiletz.
    Inkrat bewegte sich kaum, er wandte nur den Kopf ein wenig nach Conrad und sagte: »Nun, da werden Sie ja von dieser mysteriösen Geschichte ohnehin alles wissen, was es da zu wissen gibt, ebensoviel wie die Polizei, nämlich: nichts.«
    Zum ersten Male fühlte Castiletz, daß ihm hier bereits etwas nachzulaufen begann, was er bisher stets aufzusuchen getrachtet hatte: hier war das Gespräch ganz überraschend und von selbst auf Louison gekommen. Seine Empfindung jetzt war eine nahezu peinliche. Jedoch er griff sogleich den Gegenstand auf; es wäre ihm unmöglich gewesen, diese Gelegenheit durch Schweigen vorübergehen zu lassen.
    »Ich weiß eigentlich noch weniger«, sagte er, »das heißt, mir sind nicht einmal die äußeren Umstände der Katastrophe recht bekannt geworden. Sie werden begreifen, daß es für mich nicht leicht ist, in der Familie Fragen zu stellen, die ins einzelne gehen, aus gebotener Rücksicht. Mein Vater schrieb mir bei Lebzeiten noch darüber, aber gerade die Einzelheiten gegenständlicher Art, welche mich interessiert hätten, da sie ja so etwas erst ganz anschaulich machen, hat er übergangen. Und ich selbst war, als das Unglück geschah, fünfzehn Jahre alt und noch kein Zeitungsleser. Ich wäre Ihnen geradezu dankbar, Herr Doktor, wenn Sie mir etwas über das Ende der unglücklichen Schwester meiner Frau sagen würden.« Conrad fühlte nach diesen Worten mit Zufriedenheit, daß er seine Bitte artig vorgebracht hatte.
    Hohenlocher schwenkte eine Flasche. »Erzählen Sie, erzählen Sie!« rief er. »Hätte das selbst schon gerne einmal ordentlich der Reihe nach und genau gehört. In den Zeitungen stand übrigens auch etlicher in aller Eile hervorgebrachter Quatsch. Nun – tun Sie unserem Benjamin den Gefallen, wenn er schon so honett darum gebeten hat. Castiletz, Sie sind überhaupt ein sehr artiger Mensch, das Zeugnis kann ich Ihnen ausstellen. Jedoch – vor Sherlock Holmes’ Erzählung: allgemeiner Umtrunk!«
    »Uzen Sie Ihre Urgroßtante, Hohenlocher«,

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