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Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)

Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)

Titel: Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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wünschte, ich könnte sagen, wer sie getötet hat, doch die Wahrheit ist – ich weiß es nicht. Ich habe nicht vergessen, was Sie mir über das Phantom aus der Themse erzählt haben. Ich suche weiter nach ihm, aber ich denke, dass ich vielleicht auch nach anderen möglichen Tätern Ausschau halten sollte.«
    Es war ein kalter Tag. Der Winter nahte in Riesenschritten, und hier in diesem dunklen, grimmigen Raum, kaum einen Steinwurf vom Wasser entfernt, hing eine ungesunde Klammheit in der Luft. Daisy hatte sich einen blauen Wollschal über das dünne Kleidchen geworfen, der in grellem Kontrast mit ihren roten Haaren stand. Sie zitterte, seit wir eingetreten waren. Vermutlich wegen der Kälte und aus Angst. Sie zog den Schal fester um die dünnen Schultern und blickte mich aus tränenverschleierten Augen an.
    »Was passiert jetzt mit ihr, Mr. Ross?«, fragte sie.
    »Passiert?« Die Frage kam völlig überraschend. Doch Clarrie und Daisy waren Freundinnen gewesen, und es war nur natürlich, dass Daisy wissen wollte, wie es mit der Beerdigung stand. »Nun ja, es wird zunächst eine Anhörung …«, begann ich, bevor sie mich unterbrach.
    »Nein, nein, das meinte ich nicht. Wird sie der Medizin übergeben?«
    Die Frage war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Daisys Frage war nicht vom Wunsch nach einer Beerdigung beseelt gewesen, sondern von der Angst, es könnte keine geben, oder zumindest keine im herkömmlichen Sinn. »Ich weiß es nicht …«, stammelte ich verlegen. »Ich glaube allerdings nicht …«
    Sie packte mich am Ärmel und starrte aus zusammengekniffenen Augen zu mir hoch. Die Federn auf ihrem Hut wackelten, und sie sah aus wie ein zerzaustes Hähnchen. »Sie dürfen nicht zulassen, dass sie zu den Medizinern kommt, Mr. Ross! Das machen sie immer mit den Leichen von unsereinem, von den Armen und denen, die keine Angehörigen haben.«
    »Hat Clarrie keine Angehörigen? Niemanden, der ihre Leiche haben will? Was ist mit ihrer Mutter?«
    »Ach, schon lange tot«, sagte Daisy wegwerfend. »Clarrie ist im Arbeitshaus aufgewachsen, genau wie ich. Wir sind zusammen ausgebüxt. Sie haben uns nicht wieder erwischt. Na ja, ich schätze, sie haben sich nicht sonderlich angestrengt bei der Suche. Es gibt mehr als genug andere im Arbeitshaus. Clarrie und ich landeten auf der Straße und verdienten unseren Lebensunterhalt auf die einzige Weise, die wir konnten. Zuerst teilten wir unser Geld, sodass wir immer zu essen hatten, egal, was passierte. Dann bekam Jed Sparrow sie in die Finger. Er hätte mich auch nur zu gerne gehabt, aber ich konnte mich von ihm fernhalten. Ich schätze, Sie billigen das alles nicht, Mr. Ross, genauso wenig wie Ihre Frau. Aber sehen Sie, auf diese Weise musste ich nicht wieder zurück ins Arbeitshaus. Wie dem auch sei, Clarries Mutter war nie verheiratet, bestimmt nicht. Mädchen wie wir heiraten nicht. Wenn im Arbeitshaus überhaupt jemand je gewusst hat, wie sie heißt, dann haben sie es bestimmt längst wieder vergessen. Unterlagen gibt es sowieso keine. Und wenn es keine richtigen Verwandten sind, die Anspruch erheben, kriegt man die Leiche eh nicht.«
    »Vielleicht könnte Sparrow Anspruch erheben?«, schlug ich vor, obwohl ich wusste, wie dumm die Idee war.
    »Bestimmt nicht! Sie ist ihm egal, und er ist auch nicht mit ihr verheiratet«, schnappte Daisy. »Er war nicht ihr Ehemann, und er zahlt bestimmt nicht für irgendeine Beerdigung.« Ihr Griff um meinen Arm wurde fester, und Verzweiflung stand in ihrem Gesicht. »Oh, Mr. Ross, wenn sie sie aufschneiden, steht sie am Jüngsten Tag nicht wieder von den Toten auf!«
    »Am Jüngsten Tag, Daisy?«, fragte ich völlig verblüfft. »Wieso um alles in der Welt denn das?«
    »Wie kann sie wiederauferstehen, wenn sie von den Ärztestudenten in Stücke geschnitten wurde?«, entgegnete sie unbändig. »Ihre Einzelteile sind überall verteilt! Es steht in der Bibel. Ich hab es nie selbst gelesen, aber ich hab’s mir erzählen lassen. Ein Engel bläst eine Trompete, und alle Toten werden sich erheben und rumtanzen. Aber wie soll man rumtanzen, wenn der Kopf an einem Ort ist und die Beine an einem anderen und die Innereien in irgendwelchen Gläsern und wenn irgendjemand die Arme verloren hat? So wird es sein für die arme Clarrie, wenn die Ärztestudenten sie in die Finger kriegen, ganz gleich, wie feste der Engel in seine Trompete bläst!«
    Sie war so verzweifelt angesichts dieses Gedankens, dass ich mich bemühte, sie zu trösten.

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