Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
durchschaut hatte.
Doch die Art und Weise der Anrede verblüffte mich ganz beträchtlich, und es gelang mir nicht, dies zu verbergen. »Sie haben einen Beamten erwartet?«, fragte ich. Wie war das möglich? Es hatte doch wohl niemand voraustelegrafiert, dass ich unterwegs hierher war?
»Wir wissen alle, dass der Colonel nach einem Officer geschickt hat«, sagte der Kellner selbstgefällig.
»Tatsächlich?«, erwiderte ich, während ich mental meine gesamte Strategie bezüglich der Kontaktaufnahme zu diesem Colonel umsortierte. »Dann ist es also allgemein bekannt?«, fügte ich hinzu.
»Wir sind hier im Pferdeland, Sir, und das ist schon so seit den Zeiten des guten King Charles dem Zweiten. Wenn es um die Pferde geht, weiß jeder Bescheid.«
Die Pferde! Ich hätte es mir vielleicht denken können. Es ging nicht um irgendeinen grausigen Mord oder einen Raubüberfall, sondern es hatte irgendetwas mit Pferden und Stallungen zu tun. Was den Fröhlichen König anging, so tauchte er im Verlauf dieser Ermittlungen anscheinend überall auf. Wenn er nicht im Green Park spazieren ging und Bäume pflanzen ließ, dann hatte er offensichtlich hier draußen in Newmarket Pferderennen verfolgt.
»Eine unangenehme Geschichte«, sagte ich in vertraulichem Tonfall zu dem Kellner, passend zu seinem eigenen.
»Allerdings, Sir. Wenn es sich herumspricht, dass jemand bei den Pferden war … nun ja, die Sicherheitsmaßnahmen wurden bei sämtlichen Ställen erhöht. Der Colonel lässt ein paar seiner Leute Tag und Nacht die Stallungen patrouillieren. Mit Schrotgewehren! Allerdings habe ich gehört, dass er überlegt haben soll, die Polizei um Hilfe zu rufen.«
Mir wurde bewusst, dass ich an diesem Punkt vorsichtig sein musste. Ich wollte mich schließlich nicht dem herbeigerufenen Officer gegenüber wiederfinden und ihm und dem Colonel erklären müssen, warum ich mich für jemand anders ausgegeben hatte.
»Wir hätten nicht gedacht, dass Sie so schnell herkommen«, sagte der Kellner anerkennend. »Wir hatten Sie eigentlich erst nächste Woche erwartet.«
Na, Gott sei Dank , dachte ich.
»Deswegen ist der Colonel auch für ein paar Tage verreist«, sagte der Kellner. Er war ein ausgezeichneter Informant, keine Frage. Wir hätten ein paar von seiner Sorte in London gebrauchen können. Und der Colonel war nicht zu Hause? Es wurde immer besser. Liefen die Dinge nach so viel vergeblichen Mühen endlich einmal in unserem Sinne? Es wäre zu schön, um wahr zu sein.
»Er wird sicher bedauern, dass er Sie verpasst hat«, sagte der Kellner.
»Und seine, äh, Frau? Ist die Lady in Manor House?«, erkundigte ich mich.
»Mrs. Frey begleitet den Colonel. Ich glaube, sie besuchen ihren Sohn. Er ist an der Universität von Oxford«, informierte mich der Kellner. »Wir hatten eigentlich erwartet, dass der junge Master Frey nach Cambridge geht, aber sein Vater hat anders entschieden.«
Es gibt nicht viel Privatsphäre in solch kleinen Gemeinden, und es schien, als hätten der Colonel und Mrs. Frey keinerlei Geheimnisse vor den Einheimischen, zumindest nicht, was ihre allgemeinen Geschäfte und ihre Reisen anging.
»Ein weiterer Beamter wird vorbeikommen, wenn der Colonel zurück ist«, versicherte ich dem Kellner. »Einstweilen jedoch würde ich gerne zum Manor House und ein paar Erkundigungen einholen.«
»Anderthalb Meilen die Straße runter«, sagte der Kellner. »Nach rechts, wenn Sie rauskommen. Sie können es überhaupt nicht verfehlen.«
Gut, dass ich nicht vorhatte, die Pferde zu stehlen – und gut, dass mich die bewaffneten Wachen des Colonels nicht mehr überraschen konnten. Möglicherweise würde es schwieriger werden, an ihnen vorbeizukommen, als an all die Hintergrundinformationen zu gelangen, die mir der Kellner so bereitwillig geliefert hatte.
Manor House war tatsächlich nicht zu verfehlen. Am Straßenrand leuchtete ein weißes Schild und verkündete unübersehbar »Manor Stables«. Der Colonel war offensichtlich in den Ruhestand getreten und hatte sich als Pensionär entweder der Zucht oder der Ausbildung von Rennpferden gewidmet.
Ich bog in eine Auffahrt ein und näherte mich einem beträchtlichen Anwesen. Zu meiner Rechten lag das eigentliche Manor House, ein ausladendes, graues Steingebäude mit hohen Schornsteinen, das aussah, als stammte es aus der Zeit des guten King Charles II. Zu meiner Linken gab es mehrere Stallgebäude um einen großen Hof, und dahinter erspähte ich eine gepflegte Rennstrecke, die
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