Ein Mund voll Glück
ein technisch interessierter Monarch, und sein Deutschland-Besuch galt der technischen Erschließung seines Landes. Auf dem Wege ins Ruhrgebiet, wo er Maschinen und Rohre für eine Pipeline erwerben wollte, war er in München hängengeblieben und hatte den Aufenthalt über die dafür vorgesehene Zeit ausgedehnt, denn der Koran verbot ihm zwar den Genuß von Wein, vom guten, süffigen Münchner Bier aber stand kein Wort in den Gesetzen des Propheten.
Er näherte sich der funkelnden, nagelneuen Bohrmaschine, nahm den Griff in die Hand, spielte mit Scherenzug und Gelenkkopf, sah Fräulein Faber an und fragte:
»Grrrrrrrrrr?«
Fräulein Faber nickte und antwortete: »Yes, Sir!«
»No good!« brummte der Emir von Khoranshar und wandte sich von der Bohrmaschine ab, um den Instrumentenschrank zu inspizieren, in dem hinter Glas die nickelblitzenden und chromfunkelnden Marterinstrumente aufgereiht lagen. Säuberlich der Größe nach geordnete Bohrsätze, Pinzetten, Spachtel, Klammern, Schaber, Meißel und Zangen. Der Emir von Khoranshar öffnete den Schrank, griff hinein und holte die dickste Kronenzange heraus, die der Doktor vorrätig hatte. Er zog die Schenkel der Zange so weit auseinander, daß das Maul die Spitze seines dicken Zeigefingers umschloß, und drückte die Zangenschenkel vorsichtig zusammen. Fräulein Faber hatte den Eindruck, daß die beiden Herren des engeren Gefolges sichtlich erblaßten und daß sogar die harten Männer der Leibwache nervös zu blinzeln begannen. Der Emir spielte noch immer mit seinem Zeigefinger, drehte ihn mit Hilfe der Zange spielerisch nach rechts und nach links und blickte Fräulein Faber zum zweitenmal fragend an.
»Krrrrrrrrch?« Es klang wie das Krachen eines allzu rösch gebratenen Hühnerbeinchens.
Fräulein Faber deutete mit dem Finger auf die Zange, öffnete ihren Mund, deutete auf einen Backenzahn, machte mit der Hand eine Hebelbewegung und sagte bestätigend:
»Krrrrch!«
»Very good!« knurrte der Emir von Khoranshar und winkte mit dem Zeigefinger, den er soeben noch mit der Kronenzange bearbeitet hatte, den kräftigsten Mann seiner Leibwache heran. Es war sonnenklar, daß er nichts anderes vorhatte, als dem Mann zum Spaß einen oder mehrere Zähne zu ziehen, bevor er selber an die Reihe kam. Und der bullige Riesenkerl kniete auch schon vor ihm nieder, riß, ohne mit der Wimper zu zucken, den Mund weit auf, jederzeit bereit, seinem Landesvater ein paar Zähne zu opfern. Wenn es dem nur Vergnügen bereitete. In diesem Augenblick hörte Fräulein Faber die Stimme des Doktors und lief ihm entgegen.
»Um Himmels willen, kommen Sie schnell! Der Emir ist gerade dabei, einem seiner Leute die Zähne zu reißen!«
Hinter dem Doktor tauchte zwischen drei weiteren Orientalen ein junger, exotisch aussehender Mann auf, der jedoch einen normalen Straßenanzug trug. Es war Hassan, der Dolmetscher, der auf Kosten seines Landesvaters an der Technischen Hochschule studierte.
»Was stört Sie daran, Fräulein?« fragte er achselzuckend, »der Emir von Khoranshar darf alles. Wenn es ihm Spaß macht, einem Dieb die Hände abzuhacken, hackt er sie ab, und wenn es ihm mehr Spaß macht, den Mann zu köpfen, dann köpft er eben. Zähne ziehen ist doch ein völlig harmloses Vergnügen. Lassen Sie es ihm...«
Fräulein Faber sah den jungen Mann entgeistert an. Die drei burnusumwallten Neuankömmlinge rauschten mitsamt Hassan an ihr vorbei in den Ordinationsraum hinein, wo der Doktor gerade dabei war, dem Emir von Khoranshar sein Spielzeug freundlich aus der Hand zu winden. Passiert war inzwischen nichts, der kniende Leibwächter hatte noch seine zweiunddreißig schneeweißen Zähne vollständig im Mund — nur einer von ihnen wackelte ein wenig.
»Tcha, Euer Gnaden«, sagte der Doktor, »soo einfach geht das nicht, sonst könnte sich ja jeder Depp als Zahnarzt niederlassen.« Er wandte sich an Hassan und ließ ihn den Emir fragen, ob er noch Schmerzen habe und ob er bereit sei, sich behandeln zu lassen.
Der Emir ließ dem Doktor seinerseits sagen, er habe das Gefühl, auf seinem Zahnfleisch wüchse ein dichter Pelz, er verspüre nicht den geringsten Schmerz und erwarte vom Doktor, daß er ihn von seinen Leiden endgültig und für alle Zukunft befreie.
Der Doktor wandte sich wieder an Hassan: »Dann sagen Sie Ihrem Chef, er möge die Güte haben, in dem Operationsstuhl Platz zu nehmen.«
Und der Emir hatte die Güte. Das heißt, er mühte sich ab, die Güte zu haben, aber der Stuhl war
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