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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Aber dann glitt ihr Blick über die Eintragungen der anderen Tage, und was sie dort las, veranlaßte sie, die glatte Stirn zu runzeln und flacher als sonst zu atmen. Der Doktor nämlich führte seinen Terminkalender zugleich als Tagebuch, und da er ein Mann war, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, kehrte hinter vielen Daten als Ausdruck seiner Stimmung ein Wort wieder, das keinen Zweifel daran ließ, daß er mit sich und der Welt alles andere als zufrieden war. Es war ein Wort der deutschen Sprache, das durch die Häufigkeit seines Gebrauchs in neuerer Zeit nicht nur druckreif, sondern sogar fernsehfähig geworden ist. Der Doktor hatte es je nach Stimmung sogar zu modulieren verstanden, indem er es je nach Gelegenheit mit weichem oder mit scharfem S schrieb, wobei die Zahl der verwendeten Buchstaben die Stärke seiner Empfindung von der einfachen Enttäuschung bis zum lauten Jammer ausdrückte.
    Fräulein Faber blätterte in dem Kalender zurück und stellte fest, daß der Doktor seine Praxis am 15. März eröffnet hatte.

    15. 3. Laden aufgemacht! Stolz, aber ein wenig nervös. Nur keine Angst, Werner, es wird schon schiefgehen.
    16. 3. Kein Patient. Zweite Anzeige aufgegeben. (DM 160!)
    17. 3. Still ruht der See...
    18. 3. Erster Patient! Fehlanzeige, Staubsaugervertreter!
    19. 3. Endlich der erste! Extraktion. Aber der einzige...
    20. 3. Wieder umsonst gewartet. Wenn das so weitergeht...!
    22. 3. Scheiße, sprach der Erzherzog!
    23. 3. 1 Wurzelbehandlung! 1 Füllung! Hoho!
    24. 3. Armer Onkel Paul, du wirst dran glauben müssen.
    25. 3. Klammern einer Prothese zurechtgebogen. Himmel hilf!
    26.3. Frau mit brüllendem Schratzen. Muß man sich in den Bauch treten lassen? Und alles für die AOK!

    So ging es endlos weiter, über Wochen und Monate. Es kamen auch Tage, an denen der arme Doktor zwei oder sogar drei gute Meldungen buchen konnte, aber sie waren selten. Dafür häuften sich in den Notizen dunkle Befürchtungen, die die Zukunft und die Tatsache betrafen, daß er seinen guten Namen auf einige Papierchen geschrieben hatte, deren Fälligkeitstermin in bedrohliche Nähe rückte, und Fräulein Faber wußte plötzlich, daß die hohen Zahlen, die sie auf den Zetteln entdeckt hatte, nicht etwa Außenstände, sondern Schulden bedeuteten — und eine Welle des Mitleids durchflutete ihr Herz. Der arme Mensch! Jetzt verstand sie auch die Ironie der kurzen Notiz hinter ihrem eigenen Namen, und plötzlich konnte sie sich auch das grimmige Lächeln deuten, mit dem er ihre hingestotterte Erklärung aufgenommen hatte, daß sie leider momentan total abgebrannt sei. Er hätte sie ohne weiteres abwimmeln können. Um so anständiger von ihm, daß er sie nicht nur angenommen, sondern sogar besonders höflich und liebenswürdig behandelt hatte!
    Flüchtig weiterblätternd entdeckte sie zwei Notizen, die sie veranlaßten, die Augen zusammenzukneifen. Da stand unter dem Datum des 11. Mai, eines Sonntags:
    Harpfing! Hannelore D.! Ansehen kostet nichts, haha. Geschieht dir recht, Onkel Paul! Es war dein Einfall!
    Und vierzehn Tage später, ebenfalls an einem Sonntag, dem 23. 5., stand ein Eintrag, der ebenfalls reichlich rätselhaft anmutete:
    Verlobt! — Verlobt??? Na, ihr werdet Augen machen!
    Fräulein Faber klappte den Terminkalender achselzuckend zu und legte ihn in die Schublade. Das Foto im roten Lederrahmen, das nun einsam auf der leergefegten grünen Schreibtischplatte stand, stellte also des Doktors Verlobte dar. Sie fand den roten Lederrahmen ziemlich scheußlich. Und das Foto? Eine hübsche Person, wenn auch ein wenig derb und allzu üppig, besonders für den Pullover, aber auf solche Kurven flogen ja die meisten Männer — und was ging sie schließlich des Doktors Geschmack an!
    Ein Blick auf die Wanduhr zeigte ihr, daß sie bereits länger als eine halbe Stunde wartete. Sie trat zum Fenster und öffnete einen Flügel, um auf die Straße hinunterzuschauen. Die Höhe war ein wenig beängstigend. Aber der weite Blick gefiel ihr. Sie glaubte in der Ferne den Pasinger Kirchturm zu erkennen. Der Verkehr auf der Straße war um diese Tageszeit gering. Wer ein Auto besaß — und wer besaß schon keins? —, war bei dem herrlichen Sommerwetter an den Seen oder in den Bergen. Sie selber wäre ins Isartal hinausgeradelt, wenn der Doktor sie nicht gerade für den Samstagnachmittag zu sich bestellt hätte...
    Drei schwarze, ungewöhnlich große und überreichlich mit Chrom garnierte

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