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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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zu.
    »Ich kann dem Emir doch nicht sagen, daß ich eine volle Stunde an der Strippe hing, bis ich endlich einen Zahnarzt erwischte!«
    Der Emir von Khoranshar sprudelte eine neue Rumfontäne auf den kostbaren Teppich, öffnete den Mund, stieß ein paar unartikulierte Laute aus und winkte den Doktor zu sich heran. Er war der dickste Mann, dem der Doktor je in seinem Leben begegnet war, ein Dreizentnerkoloß, der zu einer Mahlzeit spielend mit einem fetten Hammel fertig wurde. Der Doktor beugte sich über seinen hohen Patienten und ließ den Strahl einer kleinen Stablampe über dessen Zahnreihen wandern.
    »Was Sie da im Mund haben, hoher Herr«, murmelte er nach der flüchtigen Untersuchung, »ist einfach eine Katastrophe. Das läßt sich nicht einmal mehr mit Steinbruch bezeichnen. Drei Zähne müssen sofort raus — und über den Rest reden wir später.« Er wandte sich an den Dolmetscher: »Sagen Sie dem Emir, daß ich ihn hier nicht behandeln kann. Aber ich kann ihn von seinen Schmerzen befreien und damit die Behandlung hier wenigstens vorbereiten.«
    Er ließ dem jungen Mann Zeit, seinen Gebieter zu unterrichten, und bereitete sich derweil darauf vor, eine Ampulle zu köpfen. Der Emir schien wirklich scheußliche Schmerzen zu haben, er rollte mit den Augen und stieß röchelnde Laute aus. Was der Dolmetscher nach einem kurzen Wortwechsel mit seinem Herrn vorbrachte, lautete dem Sinne nach: es sei dem Emir von Khoranshar völlig wurscht, wie und wo er von seinen Leiden befreit würde, aber er werde den Doktor zur Hölle schicken lassen, wenn es nicht bald geschehe.
    Daraufhin köpfte der Doktor die Ampulle, zog ihren Inhalt in eine Spritze und befahl dem Dolmetscher, zu veranlassen, daß der Emir Vorbereitungen treffen möge, unverzüglich von hier aufzubrechen und ihm in seine Praxis zu folgen.
    »Und jetzt machen Sie den Mund einmal recht weit auf, Exzellenz«, sagte er liebenswürdig, »es piekt nur ein bißchen, aber nach drei Minuten werden Sie mich für einen Zauberer halten.«
    Von seinen Bemühungen um den hohen Patienten in Anspruch genommen, bemerkte er nicht, daß das Gefolge des Emirs in Unruhe und Bewegung geriet. Es gab ein hastiges Hin und Her, auch Herr Steinrück wirbelte davon, nur Hassan, der Dolmetscher, wich nicht von der Seite seines Herrn, und auch ein anderer, burnusumwallter Scheich, den der Doktor nach der Ähnlichkeit der Gesichtszüge und der Leibesfülle für einen Bruder des Emirs hielt, blieb auf seinem Platz und beobachtete jeden Handgriff des Doktors.

5

    Fräulein Faber hatte den Wandschrank neben dem Waschbecken geöffnet und den Kittel gefunden, der dem Doktor um ein paar Nummern zu klein war. Mit dem Gefühl, sich für ein Faschingsfest zu kostümieren, schlüpfte sie hinein und zog den Gürtel stramm um die Taille, denn wenn er ihr auch in der Länge einigermaßen paßte, so war er in der Weite für einen Herrn von erheblichem Leibesumfang zugeschnitten worden. Sie drehte sich vor dem Spiegel und bedauerte, nicht Medizinerin oder wenigstens Arzthilfe geworden zu sein, denn sie fand, daß der weiße Mantel sie ausgezeichnet kleide. Aus Langeweile wusch sie sich mit der braunen, antiseptischen Seife des Doktors gründlich die Hände und sah sich, nachdem das geschehen war, näher im Ordinationsraum um. Alles darin blitzte vor Sauberkeit. In den Instrumentenschränken herrschte eine pedantische Ordnung. Nur auf dem kleinen Schreibtisch lagen einige Zettel und ein Terminkalender herum, wie der Doktor sie liegengelassen hatte, als er zu seinem hohen Patienten abberufen worden war. Er würde es ihr danken, wenn sie auch dort die Ordnung herstellte, die sonst in diesem Raum herrschte.
    Es war beileibe keine Neugier, die sie veranlaßte, einen flüchtigen Blick auf die Zettel und Notizen zu werfen. Sie waren mit Zahlenkolonnen bedeckt, deren Addition eine imponierende Summe ergab. O ja, der Doktor schien eine blendende Praxis zu besitzen. Sie schichtete die Zettel zusammen, legte sie in die geöffnete Schublade, in die sie fraglos hineingehörten, und wollte den Terminkalender gerade zuklappen und zu den Zetteln legen, als ihr Blick auf ihren Namen und auf eine lapidare Notiz fiel, die hinter ihrem Namen stand. Sie lautete schlicht: »Auch das noch!!!«, mit genau drei Ausrufezeichen dahinter. Fräulein Faber erstarrte und spürte, wie ihr eine brennende Röte ins Gesicht stieg.
    Sie hatte einen Zehnmarkschein dabei und war drauf und dran, ihn auf den Terminkalender zu legen und auf

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