Ein Mund voll Glück
Honorar... Wenn es nur darum ginge! Wissen Sie denn, um welche Beträge es für das Hotel geht, wenn der Emir seine Absicht wahrmacht und München kurzerhand verläßt?«
»Dann lassen Sie ihn doch festhalten! Er kann Sie doch nicht um die Zeche prellen!«
»Sie ahnungsloser Engel«, seufzte Herr Steinrück, »und was der Emir kann! Er steht als Gast der Bundesrepublik unter Diplomaten-Status. Seine Immunität entzieht ihn jedem polizeilichen und richterlichen Zugriff.«
»Weigert er sich denn, zu zahlen?«
»Er denkt auch nicht im Traum daran!«
»Das ist doch absurd! Ich bitte Sie, Herr Steinrück, was bedeuten denn dem Emir von Khoranshar lumpige zwei Millionen!«
»Sollte man meinen. Aber er tobt. Er rast vor Zorn und verlangt den Kopf Hassans, des Dolmetschers. Und den kann ich ihm leider nicht liefern.«
»Was! Ist denn Hassan an dem Gaunerstück beteiligt?«
»Soviel ich gehört habe, hält man ihn für den Initiator des Banditenstreiches. Der Bursche hat doch wahrhaftig die Frechheit besessen, die Zentralbank in Gegenwart des Emirs und seiner engsten Begleitung vom Hotel aus anzurufen. Wer die Rolle des Emirs gespielt hat, weiß man noch nicht, aber es scheint sicher zu sein, daß es sich um Leute handelt, die auf Kosten des Emirats Khoranshar oder anderer orientalischer Staaten in Deutschland studieren.«
»Danke, Herr Steinrück«, sagte der Doktor mit matter Stimme, »und entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange aufgehalten habe...«
»Keine Ursache, lieber Doktor, ganz im Gegenteil, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich mich nicht gleich bei Ihnen gemeldet habe, nachdem die Kriminalpolizei hier aufgekreuzt war, um die ersten Ermittlungen aufzunehmen.«
»Noch eine Frage, Herr Steinrück...«
»Bitte, fragen Sie!«
»Den Scheck des Emirs kann ich unter diesen Umständen wohl in den Rauchfang hängen, wie?«
Die Antwort kam nach einem mitleidigen Seufzer: »Ich fürchte, Doktor, das wird das Ende vom Lied sein. Aber lassen Sie die Flügel nicht gänzlich hängen. Vielleicht läßt der Emir doch noch vernünftig mit sich reden.«
Werner Golling hängte ein. Alois Seehuber, der ein Ohr dieses Mal dicht am Hörer gehalten und alles mitbekommen hatte, ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Armstuhl fallen.
»Armer Hund«, murmelte er mitfühlend, »dreiundzwanzigtausend Katharinchen — ffffffft!« Er warf die Hand empor und blickte zum Plafond auf, als schaue er dem grauen Rauchwölkchen nach, in das sich ein wunderschönes, dickes Banknotenbündel soeben verwandelt hatte. »Aber wie sagte Herr Steinrück soeben so richtig? Laß die Flügel nicht hängen, alter Junge! Du schaffst es! Du machst deinen Weg! Mit und ohne Ölscheiche!«
Werner Golling holte tief Luft. Wenn es vor wenigen Minuten noch ausgesehen hatte, als ob der ganze Mann auf die Hälfte seines Volumens zusammengeschrumpft sei, jetzt gewann er seine alte Gestalt zurück. Er stemmte sich aus dem Stuhl hoch und ballte die Fäuste.
»Ja, zum Teufel«, zischte er aus zusammengebissenen Zähnen, »ich schaffe es! Und der Emir von Khoranshar kann mich kreuzweis...!«
»Bravo! Bravissimo und da capo!« Herr Seehuber rief es aus voller Brust.
Werner Golling aber ging in seine Praxis hinüber. Es regnete noch immer. Das Wartezimmer war leer, und an diesem Nachmittag würde es wohl auch leer bleiben. Für alle Fälle nahm er einen halben Briefbogen und malte folgenden Text mit großen Druckbuchstaben darauf: PRAXIS HEUTE GESCHLOSSEN — VEREINBARTE BEHANDLUNGSTERMINE GELTEN FÜR MORGEN ODER WERDEN NEU FESTGESETZT.
Dann streifte er den weißen Mantel ab, schlüpfte in seinen Trenchcoat und holte den Regenschirm aus dem Schrank. Es war vier Uhr, als er das Haus verließ und sich auf den Weg machte, ein Taxi zu suchen.
10
Was er befürchtet hatte, traf ein, Taxis waren an diesem Nachmittag Mangelware, und als ihm nach halbstündigem Fußmarsch ein freies begegnete, verzichtete er darauf, es heranzuwinken, denn da lief ihm das Wasser trotz Schirm und Mantel aus den Schuhen, die Hosen klebten an den Waden, und er hatte auch weiter oben das höchst unangenehme Gefühl, einer hüfttief gefüllten Wassertonne entstiegen zu sein.
Das Haus in der Wartbergstraße trug über seinem von Säulen flankierten Portal in einem Wappen die vergoldeten Ziffern seines Baujahres 1910. Es hatte den Krieg heil überstanden. Das Treppenhaus mit viel Stuck, Marmorimitation und Drechslerarbeit an den Treppengeländern sah genauso
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