Ein Mund voll Glück
habe einen guten Freund, etwa mein Jahrgang, ein ausgesprochen netter Mann, er ist Rechtsanwalt und heißt Dr. Alois Seehuber...«
»Seehuber? Komisch, der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Woher nur?«
»Du wirst seinen Namen wahrscheinlich über meinem Praxisschild gelesen haben. Er hat mir nämlich seinerzeit von seiner Kanzlei die Räume für meine Praxis abgetreten.«
»Das ist ja sehr interessant, aber ich verstehe nicht recht, worauf du hinauswillst.«
»Nun, ich dachte, du hättest vielleicht Lust, wenn du schon einmal in München bist, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden.«
»Warum stotterst du auf einmal?«
»Ich stottere überhaupt nicht! Warum sollte ich auch? Ich meine nur, allein durchs Münchner Nachtleben zu bummeln ist für eine junge Dame weder besonders amüsant noch ratsam...«
Er wartete auf ihre Antwort und lauschte in den Apparat. Er blieb lange stumm, so lange, daß er schon glaubte, die Verbindung sei durch einen Blitzschlag unterbrochen worden.
»Hallo, Hannelore, bist du noch am Apparat?«
»Entschuldige, Werner, ich habe mir inzwischen eine Zigarette angezündet...« Es rauschte in der Muschel, als bliese sie einen langen Atemstoß auf die Membrane ihres Telefons. »Wie war doch gleich der Name deines Freundes? Seehuber, nicht wahr?«
»Ganz recht, Alois Seehuber. Er stammt aus Rosenheim. Sein Vater ist Zahnarzt wie ich, mit dem kleinen Unterschied, daß seine Praxis eine Goldgrube ist...«
»Und die Praxis deines Freundes?«
»Läuft — und läuft — und läuft, na ja, er hat die Kanzlei auch erst vor einem halben Jahr aufgemacht.«
Wieder ließ sie ihn eine ganze Weile warten, eine gute halbe Minute lang: »Also gut«, sagte sie schließlich, »Herr Seehuber kann mich um halb acht abholen. Ich werde im Foyer auf ihn warten. Ich habe übrigens zwei Karten für Anatevka...«
»Wie kommst du zu den Karten? Die Vorstellung ist doch seit Wochen und für Wochen voraus ausverkauft...«
»Ich habe die Karten vor vierzehn Tagen bestellt. Sie waren eigentlich für uns beide bestimmt...«
»Ach, Hannelore...«
»Schwamm drüber! Nur noch eine Frage, woran erkenne ich Herrn Seehuber?«
»Keine Sorge, er wird dich schon finden. Ich besitze ja dein Bild.«
»Zerreiße es auf der Stelle!«
»Ich denke nicht daran! Und ich werde es auch von niemand zerreißen lassen.«
»Darüber unterhalten wir uns noch...«
Er hörte einen Ausruf des Erschreckens.
»Was war?«
»Mein Gott, ein Blitz und ein Schlag, daß ich dachte, mir müßten die Trommelfelle platzen. Hast du nichts gehört?«
»Hier war es nicht ganz so schlimm...«
»Servus, Werner — ich verkrieche mich wieder unter der Bettdecke. Sagst du deinem Freund Bescheid?«
»Per Eilboten!« antwortete er.
Draußen tobte das Unwetter mit unverminderter Heftigkeit weiter. Auf den Straßen war die Feuerwehr schon dabei, die von Hagelschloßen und herangeschwemmtem Unrat verstopften Gullys freizulegen, umgestürzte Bäume aus den Fahrbahnen zu schaffen, geknickte Lampenmasten zu sichern und jene Schäden zu beseitigen, die der orkanartige Sturm vor Ausbruch des Gewitters verursacht hatte.
Werner Golling öffnete seinen Schreibtisch und steckte Hannelores Bild samt Rahmen in die Tasche seines Mantels, bevor er zu Alois Seehuber hinüberging. Die Büromädchen waren gerade dabei, ihre verstörten Gemüter durch einen Kaffee zu stärken. Da sie Werner Golling eine Tasse anboten, fühlte er sich verpflichtet, eine Lage Kuchen zu spendieren, aber Monika weigerte sich, bei diesem Sauwetter zur nächsten Konditorei zu laufen. Der Doktor ließ sich den Kaffee in das Büro seines Freundes Seehuber bringen, der linksseitig ein wenig verbügelt wirkte, als hätte er die letzte Stunde tatsächlich zu einem Mittagsschlaf benutzt. Das Büro war mit dunkler Eiche und einer schwarzledernen Polstergarnitur möbliert, einer seriös wirkenden Einrichtung, die speziell für Anwaltskanzleien entworfen zu sein schien.
»Ich wünsche wohl geruht zu haben, Herr Doktor.«
»Wer schläft, sündigt nicht und hat auch keine Sorgen«, bemerkte Herr Seehuber mit umflorter Stimme und klappte den Deckel eines dünnen Aktes zu, »Wimmer contra Wimmer, Ehescheidung über Armenrecht, er brummt wegen Totschlags sechs Jahre ab, sie geht putzen. Was meinst du, was da für mich herausspringt?«
»Du mußt die Sache von der ethischen Seite betrachten, du machst zwei Menschen glücklich.«
»Halt schon die Klappe!« knurrte Alois Seehuber humorlos
Weitere Kostenlose Bücher