Ein Mund voll Glück
protestierte zwar, aber Fräulein Faber bestand so energisch auf ihrem Willen, daß er sich fügte und Schuhe und Strümpfe abstreifte. Und da die Hose noch immer klatschnaß um seine Waden schlotterte, krempelte er sie auf und drückte das Wasser, so gut es ging, in ein Handtuch.
»Wenn ich das geahnt hätte...«, murmelte er, als er in die braunen Pantoffeln schlüpfte.
»Daß Sie sich kein Taxi genommen haben...«
»Die Standplätze waren wie leergefegt.«
»Und die Tram?«
»Verkehrt noch nicht, Sturm und stürzende Bäume haben die Oberleitungen beschädigt.«
Fräulein Faber schenkte den Tee ein, reichte ihm Zuckerdose und Rumkaraffe herüber und goß ihm, als er sich zierte, einen tüchtigen Schuß nach. Sie sparte auch bei sich nicht mit dem Rum und hob die Tasse mit dem dampfenden, aromatischen Gebräu an die Lippen. »Ah, wie gut! Auch ich habe eine kleine Stärkung nötig. Als das Unwetter losbrach, war ich gerade beim Kaufmann, zwei Häuser weiter. Ich dachte an das offenstehende Fenster und rannte heim. Aber da prasselten die Scherben auch schon herunter.«
»Ich habe das Unwetter von der Praxis aus beobachtet. Ein tolles Schauspiel. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, fegte eine wirbelnde Staubwolke heran und riß zwei Linden mitsamt dem Wurzelwerk aus der Erde. Ich glaubte im ersten Moment, es hätte eine Gasexplosion gegeben, oder in der Nähe wäre eine noch aus dem Krieg stammende Mine in die Luft gegangen.«
Er hatte die Tasse geleert und spürte eine angenehme Wärme, die vom Magen her den ganzen Körper durchflutete.
»Noch eine Tasse, Herr Doktor?«
»Danke, gern! — Übrigens habe ich mich bei Ihnen noch für etwas anderes zu bedanken...«
»Ich wüßte nicht, wofür...«
»Sie haben Fräulein Lehrbach an mich empfohlen.«
»Sind Sie eine halbe Stunde lang durch den Regen gelaufen, um mir das zu sagen?« fragte sie und sah ihn an, als schaue sie über den Rand einer Brille hinweg.
»Nein«, antwortete er kopfschüttelnd, »nicht nur deshalb, aber Fräulein Lehrbach verriet mir — und ich hoffe, daß sie keine Indiskretion beging —, daß Sie die Absicht geäußert hätten, sich nach einer Halbtagsbeschäftigung umzusehen...«
»Ach, wissen Sie, ich habe nach dem Tod der Eltern ein halbes Jahr lang im Büro eines Steuerberaters gearbeitet. Und ich ging später, weil diese Beschäftigung nicht gerade abwechslungsreich war, ins Lektorat einer Zeitung. Das war nun wirklich eine sehr angenehme Tätigkeit. Leider dauerte sie nur ein knappes Jahr. Der Verlag kürzte den Etat der Feuilleton-Redaktion, und da so etwas immer die Kleinen trifft, war ich mein hübsches Postchen wieder los.«
»Kamen Sie durch Ihre Lektoratstätigkeit auf den Gedanken, selber zu schreiben?«
»Nein, das ist ein viel älteres Laster...«
Er deutete mit einer Kopfbewegung zum Sekretär hin: »Darf man erfahren, woran Sie augenblicklich arbeiten?«
Sie zögerte mit der Antwort. »Warum nicht?« sagte sie schließlich achselzuckend. »Ich hole mir meine Stoffe zumeist aus der Nachbarschaft, aus den ganz alltäglichen Begegnungen. Dieses Mal ist es allerdings eine ziemlich märchenhafte Geschichte...«
»Wovon handelt sie?«
»Von einem jungen Zahnarzt, dessen Zukunft ziemlich trüb aussieht und der durch einen von Zahnschmerzen geplagten König aus dem Morgenland über Nacht zu Ansehen und Reichtum gelangt...«
»Um Himmels willen!« stöhnte er händeringend.
»Keine Sorge! Die Geschichte wird nie veröffentlicht, und selbst wenn sie je veröffentlicht würde, erkennen Sie sich darin ganz gewiß nicht wieder. Ich sage Ihnen doch, es ist ein Märchen, ein Traum, wenn Sie so wollen. Mein Zahnarzt hat in der Zeitung gelesen, ein sagenhaft reicher Maharadscha sei in der Stadt angekommen, und sein Wunsch, daß dieser Nabob von Zahnschmerzen geplagt werden möge, läßt ihn erleben, was er sich erträumt...«
»Und zum Schluß platzt die Seifenblase?« fragte der Doktor und mußte eine plötzliche Trockenheit im Halse mit einem Schluck Tee herunterspülen.
»Natürlich platzt sie! Oder glauben Sie etwa daran, daß es im wirklichen Leben so etwas gibt? Es wäre auch ungerecht, einen Mann für das Reißen eines morschen Zahns mit Reichtum und Ehren zu belohnen.«
Der Doktor schluckte nicht mehr, dafür blinzelte er, als träfe der Strahl eines Scheinwerfers seine Augen: »Meinen Sie das im Ernst?«
»Sie dürfen die Geschichte nicht auf sich beziehen!« sagte Fräulein Faber mit einem kleinen
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