Ein Mund voll Glück
Seufzer, »Sie sind ein Glückspilz. Aber Glückspilze sind im Leben so dünn gesät, daß mir kein Mensch die Geschichte glauben würde, wenn ich sie als reales Erlebnis schildern wollte.«
»Ja, zum Teufel, was hat Ihr Zahnarzt eigentlich von seinem Traum? Wozu träumte er? Und was bleibt ihm davon?«
»Eine ganze Menge! Der Trotz zum Beispiel, sich nicht unterkriegen zu lassen, und die Einsicht, daß aller Anfang Geduld braucht, und schließlich die Hoffnung, daß eines Tages der Schah von Persien tatsächlich die Stadt besuchen und Zahnschmerzen bekommen könnte.«
Der Doktor starrte Fräulein Faber an, als entdecke er an ihr bestürzende und recht unheimliche Eigenschaften...
»Was haben Sie?« fragte sie ein wenig verwirrt.
Er stand auf und ging mit drei Schritten zu dem Sekretär. Das Blatt, das in die Maschine gespannt war, trug in der Mitte des oberen Randes die Zahl 1, und der Text begann, wie nun eben die meisten Märchen beginnen, mit den Worten >Es war einmal<: Es war einmal ein junger Zahnarzt, der nach langen Studienjahren eine eigene Praxis eröffnet hatte und um seine Zukunft und um sein Glück bangend voller Ungeduld auf den ersten Patienten wartete...
Der Doktor überflog die Zeilen, aber am Schluß der halben Seite wartete der Held in Fräulein Fabers Geschichte noch immer vergebens.
»Wann haben Sie diese Geschichte zu schreiben begonnen?«
Fräulein Faber machte ein Gesicht, als beabsichtige sie, dem Doktor die Gegenfrage zu stellen, was ihn das anginge, aber dann antwortete sie doch, daß sie sich bald nach dem Mittagessen an die Maschine gesetzt und geschrieben habe, bis der Himmel sich so verfinstert hätte, daß sie das Licht hätte einschalten müssen, um Weiterarbeiten zu können. Dann sei ihr eingefallen, daß sie noch einige Besorgungen zu machen habe, sie sei zum Kaufmann gelaufen und auf diesem kurzen Gang vom Unwetter überrascht worden.
Der Doktor schien nicht zu bemerken, daß sie diesen minutiösen Bericht über ihren Tagesablauf mit einem unverkennbar ironischen Tonfall erstattete, so, als wolle sie fragen, ob er ihn sich noch detaillierter wünsche.
»Aber die Geschichte, die Sie mir vorher erzählten und von der hier gerade die ersten Sätze stehen, hatten Sie schon im Kopf, nicht wahr?«
»Natürlich hatte ich sie im Kopf! Oder glauben Sie, man könnte es sich leisten, auf gut Glück drauflos zu fabulieren und zu hoffen, man werde schon irgendwie zu Ende kommen?«
Der Doktor starrte noch immer auf den halbgeschriebenen Bogen, aber plötzlich hob er, als käme ihm eine Erleuchtung, den Kopf und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Das Radio!« sagte er, als verkündige er die Lösung eines schwierigen Rätsels. Fräulein Faber sah ihn ein wenig ängstlich an. Er hatte drei- oder viermal geniest, gewiß, aber das bißchen Schnupfen konnte doch unmöglich mit so hohen Fiebergraden verbunden sein, daß er zu halluzinieren begann. »Was ist mit dem Radio?« fragte sie freundlich, als fürchte sie, ihn durch ungeduldige Töne zu reizen.
»Die Mittagsnachrichten«, sagte er, »daß ich nicht gleich darauf gekommen bin! Sie haben die Geschichte in den Mittagsnachrichten gehört!«
»Ich habe nichts gehört«, sagte sie sanft. »Wir besitzen zwar ein kleines Transistorgerät, aber die Batterie ist seit acht Tagen leer. Ich kann also nichts gehört haben. Aber es würde mich nun doch mächtig interessieren, zu erfahren, was ich gehört haben soll?«
»Die Geschichte mit dem Emir und den geklauten Millionen!« schrie er unbeherrscht. Aber als er sah, daß sie erblaßte und nach der Lehne des Sessel tastete, als suche sie etwas, woran sie sich festhalten könnte, hob er die Hände zu einer entschuldigenden Gebärde und fuhr beschämt und verlegen fort: »Entschuldigen Sie meine Heftigkeit, Fräulein Faber. Ich weiß natürlich, daß Sie es mit Ihrer Geschichte nur gut gemeint haben, aber ich brauche wirklich keinen Trost. Der Traum ist aus, ich bin ein Pechvogel, und ich habe mich damit abgefunden! Es überrascht mich selber, wie rasch ich mich gefangen habe. Was antworteten Sie mir doch, als ich Sie fragte, was nun Ihr Zahnarzt eigentlich von seinem Traum hat und was ihm davon bleibt? Der gesunde Trotz, sich nicht unterkriegen zu lassen...«
»Hören Sie doch endlich mit meinem blöden Zahnarzt und mit meiner blöden Geschichte auf!« schrie sie ihn an und stopfte sich die Spitzen der Zeigefinger in die Ohren. »Ich kann das Gewäsch nicht mehr hören! Und
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