Ein Mund voll Glück
nur, wir werden die Geschichte schon zurechtbiegen.«
»Wollen Sie mir dabei wirklich helfen?«
»So wahr ich hoffe, daß Sie demnächst meine Schwägerin werden!« sagte der Doktor feierlich und prostete Marion zu.
»Prösterchen, Herr Schwager in spe«, sagte sie und stieß mit ihm an, »ich freue mich für Irene ganz unbändig, denn Zimmervermieten ist ja auf die Dauer wahrhaft keine Lebensaufgabe, und ob sie mit ihrer Schreiberei jemals auf einen grünen Zweig kommen wird, wage ich zu bezweifeln.«
»Allzu viele Wege standen ihr nicht offen, um sich selbst und Sie über Wasser zu halten.«
»Das stimmt, und es stimmt vor allem für den Anfang, als wir plötzlich vor dem Nichts standen. Aber später, als ich zu verdienen begann und als Irene mit Halbtagspöstchen ebenfalls ein paar Kröten heimbrachte, hätte ich an ihrer Stelle die Riesenwohnung aufgegeben, die Putzfrau für fremde Leute an den Nagel gehängt und uns ein Apartment genommen. Aber Irene ist nun einmal gegen jedes Risiko. Das unterscheidet uns am meisten.«
»Dann ist sie genau die Frau, die ich brauche.«
»Sie sehen aber gar nicht so aus, als ob Sie sehr risikoreich leben...«
»Haben Sie eine Ahnung!« seufzte der Doktor. »Wenn Sie die Papierchen unterschrieben hätten, auf die ich meinen Wilhelm gesetzt habe, damit ich meine Praxis aufmachen konnte, dann wäre Ihnen das halbe Hendl im Hals steckengeblieben.«
»Bei Ihnen ist es aber ganz flott gerutscht...«
»Das ist reine Übungssache. Man lernt mit der Zeit auf dem Seil zu tanzen, und die Leute, die am Fuß vom Ätna oder vom Vesuv leben, essen und trinken ja auch...«
Er schien die Absicht zu haben, sich weiter über das Thema des Lebens am Abgrund zu verbreiten, aber die Lokaltür wurde mit einiger Vehemenz geöffnet. Der leichte Vorhang, der als Sichtschutz gegen die Straße diente, wurde vom Luftsog zurückgerissen und so hoch angehoben, daß man zwei gebräunte Beine bis zur halben Wadenhöhe erblickte. Die Sandaletten, mit denen die Füße beschuht waren, kamen dem Doktor bekannt vor.
»Endlich!« rief er und sprang auf, um der Erwarteten entgegenzueilen. Er hatte sich nicht getäuscht, es war Fräulein Faber, die in die Hühnerdiele stürmte. Sie wirkte ziemlich zerzaust, ihre Wangen glühten, und sie war auch ausgesprochen atemlos, als hätte sie die Wegstrecke von daheim im Laufschritt zurückgelegt.
»Das war aber eine lange Redaktionssitzung«, sagte der Doktor und führte Fräulein Faber zum Tisch, »hoffentlich haben Sie Erfolg gehabt...«
»Wer redet hier von Redaktionssitzung?« fragte Fräulein Faber und sah ihre Schwester an. »Geht das auf dein Konto?«
»Du hast etwas von Emir gemurmelt, als du aus dem Hause liefst, und daß das letzte Kapitel dieser Geschichte noch lange nicht geschrieben sei...«
Die Bedienung brachte dem Doktor das zweite Bier. Über den Glasrand türmte sich eine schneeweiße, sahnige Schaumkrone empor. Fräulein Fabers Atem ging noch immer kurz, und sie schluckte, als wäre ihre Kehle ausgedörrt.
»Darf ich?« fragte sie und griff nach dem Glas.
»Ich habe es für Sie bestellt«, sagte der Doktor und gab der Bedienung einen Wink, ihm noch eine Halbe zu bringen. Fräulein Faber nahm einen langen, durstigen Zug. Als sie das Glas absetzte, wuchs ihr ein weißer Schnurrbart aus der Nase, den sie teils mit der Zunge und teils mit dem Handrücken verschwinden ließ.
»Ich kann Ihnen das Hendel warm empfehlen«, sagte der Doktor, »wir beide haben bereits eins inhaliert und waren gerade am Überlegen, ob wir als Nachtisch noch eine Pikante Geflügelleber vertragen...«
Fräulein Faber öffnete ihr Handtäschchen und kramte drin herum, aber sie schien nicht zu finden, was sie suchte.
»Sie sind selbstverständlich eingeladen«, sagte der Doktor, der zu vermuten schien, daß sie ihre Börse vermißte.
»Danke — aber ist das Ihre Art, den Verlust von 23 000 Mark zu feiern?« Sie maß den Doktor mit einem ernsten Blick.
»Es ist eine Trauerfeier«, antwortete er vergrämt, »aber der Leichenschmaus gehört nun einmal zum Begräbnis. Und das werden Sie mir zugeben müssen: hier findet eine Beerdigung erster Klasse statt.«
»Was darf’s für die Dame sein?« fragte die Bedienung den Doktor, und er gab die Frage an Fräulein Faber weiter.
»Ich nehme die Hühnerleber...«
»Und die nehmen wir beide auch, nicht wahr, Fräulein Marion? Oder waren das vorher nur leere Versprechungen?«
»Ich habe Sie gewarnt!«
»Also, Fräulein,
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