Ein Mund voll Glück
nachdem sie die lapidare Botschaft SIND IN DER HÜHNER-DIELE mit Druckbuchstaben draufgemalt hatte.
»Von mir aus können wir«, sagte sie munter.
Der Doktor warf einen verzagten Blick auf ihre endlos langen Beine oder vielmehr auf jenen Stoffstreifen, den dieses Mädchen wahrscheinlich als Rock bezeichnete, aber er unterdrückte die Frage, ob sie sich nicht ein wenig wärmer anziehen wolle, um nicht, da sie ihn schon prähistorischer Anschauung bezichtigt hatte, womöglich für einen Neandertaler gehalten zu werden.
»Also schön«, murmelte er resigniert, »gehen wir...«
»Sie wirken auf einmal so sauer«, meinte sie, als sie das Haus verlassen hatten und zur Hühnerdiele unterwegs waren, »stimmt irgend etwas nicht?«
»Nicht doch, nicht doch, es ist alles in bester Ordnung...«
»Bis auf das Fehlen von Irene, nicht wahr?«
»Nun ja...«
»Wie sind Sie eigentlich hergekommen? Mit der Tram?«
»Nein, mit dem Wagen...«
»Und wo steht Ihr Schlitten?«
Er deutete mit dem Kinn über die Straße und überließ ihr die Wahl zwischen einem blauen Kombi, einem mit APO-Parolen garnierten Studiker-2 CV und Onkel Pauls Mercedes.
»Jetzt sagen Sie bloß noch, daß Ihnen die Prunkkarosse gehört!«
»Eine Leihgabe...«
»Habe ich mir fast gedacht.«
»Warum?«
»Weil zu Ihnen etwas Flotteres gehört.«
»Den flotten Traum wollte ich mir morgen oder übermorgen erfüllen.«
»Und weshalb können Sie nicht?«
»Weil mir ein Haufen brauner Lappen leider durch die Lappen gegangen ist. Erinnern Sie mich lieber nicht daran.«
»Hängt das mit dem Ölscheich zusammen?«
»Erraten. Aber reden wir von etwas anderem. Von Ihnen zum Beispiel. Ich habe gehört, daß Sie vor einiger Zeit Ihre Gesellenprüfung als Schneiderin gemacht haben...«
»Sogar mit der Note >Sehr gut<...«
»Respekt! Und nun schneidern Sie also?«
»Ja, ich schneidere in einem Atelier mit ziemlich gesalzenen Preisen. Aber mein Chef hat mit mir Höheres im Sinn. Er will mich auf die Mode-Akademie nach Düsseldorf schicken.«
»Sie sagen das so zögernd. Gibt es denn da für Sie etwas zu überlegen? Das ist doch eine große Chance, nicht wahr?«
»Ja, das schon. Aber ich habe noch eine andere Chance...«
»Man kann nicht genug Eisen im Feuer halten.«
»Es ist keine berufliche Chance...«
Er blinzelte sie von der Seite an: »Sondern...?«
»Sie müssen mir versprechen, auch Irene gegenüber dichtzuhalten...«
»Großes Ehrenwort!«
Sie gingen an den Schaukästen des Kinos vorüber, in denen farbige Standfotos aus vier Filmen eine >Greta-Garbo-Woche< ankündigten. Die Hühnerdiele befand sich im nächsten Haus. Es war ein kleines, gemütliches Lokal, zur Stunde noch leer, mit einigen Nischen, rustikalen Möbeln aus Lärchenholz, Kupferlampen mit schottisch karierten Schirmen und im gleichen Schottenmuster bezogenen Sitzkissen auf den Bänken und Stühlen. Die Bedienung, jung, hübsch und in einem sehr flotten Dirndl, begrüßte Marion wie eine alte Bekannte. Der Doktor hingegen schien ihr ein kleines Rätsel aufzugeben...
Er wählte eine Nische, von der er die Eingangstür des Lokals beobachten konnte, und überließ Marion die Speisekarte. Sie entschied sich für ein halbes Hähnchen mit Pommes frites, und er schloß sich ihrer Wahl an.
»Die Pikante Leber können wir uns ja für später aufheben«, meinte er.
»Seien Sie nur nicht leichtsinnig«, warnte sie, »ich könnte Sie beim Wort nehmen...«
»Nehmen Sie!« sagte er mit einer großzügigen Handbewegung. »Die Frage ist jetzt, was wir trinken. Ich bin für ein blondes Bier, und Sie?«
»Mir bringen Sie ein Weizen, Maria.«
»Geht in Ordnung, Fräulein Faber.«
»Ihr Stammlokal, nicht wahr?« fragte der Doktor. »Nur der Kavalier, mit dem Sie sonst hier aufkreuzen, ist ein anderer...«
Sie nickte: »Sein Künstlername ist Enrico...«
»Hoho, ein Musiker?«
Sie schüttelte den Kopf: »Eigentlich heißt er Heinz Unterpointner und ist Damenfriseur...«
Er schien sie ein wenig entgeistert anzusehen, denn sie fuhr ihn ziemlich böse an: »Nun machen Sie bloß nicht so ein komisches Gesicht! Ihm gehört ein erstklassiger Salon mitten in der Stadt, und er hat erstklassige Kundschaft, eine Menge Schauspielerinnen von Bühne und Film, und er macht es nicht gerade billig!«
»Davon bin ich überzeugt. Aber wieso nennt er sich Enrico?«
»Weil sein Salon so heißt — Salon Enrico...«
»Hm, und wann und wie haben Sie Enrico kennengelernt?«
»Vor einem guten halben Jahr. Mein
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