Ein nackter Arsch
Sache sei nur deshalb nicht aktenkundig geworden, weil der damalige Minister sich selbst für eine Einstellung des Verfahrens starkgemacht hatte. Schmidtbauer hatte im Gegenzug gegenüber dem Minister eine Erklärung unterzeichnet, dass er in Deutschland künftig Dobermänner und Schäferhunde weder halten noch züchten werde. Das könnte erklären, warum er auf Berner Sennenhunde umgesattelt hatte. Hunde spielten in Schmidtbauers Leben eine große Rolle. Und eine Episode daraus, vielleicht sogar eine entscheidende, kannte Pierre Duvall. Simarek war gespannt, was der Bilanzbuchhalter von ASP noch zu erzählen hatte.
Das Büro, in das Michelle Huppert und Robert Simarek geführt wurden, war dem Stil einer alten Anwaltskanzlei nachempfunden. Der Kommissar fühlte sich an Fernsehserien der 1980er Jahre erinnert. Ein schwerer Eichenschreibtisch stand auf teppichbedeckten Holzdielen, die knarzten, und als Pierre Duvall den Raum betrat, fühlte sich Simarek in seinem Eindruck bestätigt, er sitze tatsächlich im falschen Film. Duvall trug einen weißen Anzug mit rotem Seidentuch in der Brusttasche. Seit dem letzten Besuch des Kommissars bei ASP hatte Duvall einen Wandel vollzogen, den sich Simarek nur so erklären konnte, dass der Prokurist davon ausging, die Firma wenigstens für eine Übergangszeit, wenn nicht sogar in Zukunft dauerhaft leiten zu können. Woher er diese Idee nahm, war dem Kommissar allerdings völlig schleierhaft. Duvall wirkte auf ihn so deplatziert wie Tennissocken in Sandalen. Doch Duvall schien sich daran nicht zu stören und ging völlig auf in seiner neuen Rolle.
„Tee, Kaffee oder einen Sherry? Ach nein, Sie sind ja im Dienst, nehme ich an.“ Er nestelte nervös an seinem Seidentuch; so ganz wollte ihm der Auftritt nicht gelingen. Michelle Huppert und Simarek einigten sich schnell auf Kaffee und Duvall drückte den Knopf der Gegensprechanlage: „Emilie, seien Sie doch bitte so lieb und bringen uns Kaffee.“
Die Chefsekretärin hatte Duvall also auch schon geerbt. Ob es noch mehr für ihn zu erben gab, musste sich erst noch zeigen.
„Sie haben also die Nachfolge von Schmidtbauer angetreten?“, fragte die französische Kommissarin, sprach aber wie gewöhnlich deutsch, um Simarek nicht in Verlegenheit zu bringen.
„Naturellement“, antwortete Duvall. „Es ist ganz klar geregelt, dass beim Ausfall des Geschäftsführers der Prokurist nachrückt und die Geschäfte leitet. Und solange nicht klar ist, wie es weitergeht, bin ich das. Und danach vermutlich auch.“
„Und was wird aus dem Laden? Ich meine, wer erbt?“
„Keine Ahnung, soweit ich weiß, gibt es keine direkten Erben. Schmidtbauer war kinderlos. Weder er noch seine Frau hatten Geschwister. Aber das wird sich finden. Schmidtbauer hat ein Testament gemacht. Ich bin zur Testamentseröffnung zum Notar geladen. Morgen Nachmittag wissen wir mehr. Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass ich ASP im Sinne des Verstorbenen weiterführen soll.“
„Sie hatten ein gewisses Vertrauensverhältnis zu Schmidtbauer?“ Die Frage von Simarek war eher eine Feststellung.
„Ja, ich kannte ihn jetzt seit gut vierzig Jahren. Wir waren mal befreundet. Das hat sich im Laufe der Jahre aber naturgemäß relativiert. Da ich unter Schmidtbauer Karriere gemacht habe, war ich auch unserer Firmendisziplin unterworfen. Sie werden gemerkt haben, dass da nicht viel Raum für Persönliches ist, ein Umstand, den ich vielleicht ändern möchte.“
In diesem Moment betrat Emilie Schrader mit Kaffee und Gebäck den Raum, und Duvall schenkte ihr ein Lächeln, das so klebrig wirkte wie der Schokoladenüberzug auf den Eclairs. Die Chefsekretärin stellte Tablett und Tassen zügig ab und verließ fast schon eilig das Büro von Duvall.
„Einige werden sich noch etwas daran gewöhnen müssen, dass hier künftig ein anderes Klima herrschen soll“, bemerkte Duvall und blies auf seine manikürten Fingernägel.
„Also, mein lieber Kommissar, was wollen Sie noch wissen?“ Damit war das Vorgeplänkel beendet und die Runde beim Thema angekommen. Simarek ließ Michelle Huppert den Vorrang, so hatten sie es auf der Fahrt zu ASP abgesprochen.
„Monsieur Duvall, ich war vorgestern bei einem Hundeverein hier in Forbach. Da war Alfons Schmidtbauer in den sechziger Jahren mal Mitglied. Was können Sie uns über diese Zeit erzählen?“
„Da habe ich ihn kennengelernt. Wir teilten die gleichen Leidenschaften. Schöne Frauen, schnelle Autos und rassige Hunde.
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