Ein nackter Arsch
bin als in Lettland.“
„Und du gewährst Anna jetzt Kirchenasyl?“ Der Kommissar blickte den Pastor fragend an. Der stellte Simarek ein Glas hin und füllte es mit tiefroter Flüssigkeit.
„Probier mal. Du schmeckst dunkle Kirschen und rote Beeren, vielleicht auch noch ein zartes Aroma von Leder. Eine Cuvée von fünf verschiedenen Rebsorten.“ Offenbar wollte Hassdenteufel nicht direkt auf die Frage des Kommissars antworten, sondern erst die passenden Worte finden.
„Sagen wir so: Wir öffnen die Türe allen, die mühselig und beladen sind. Anna war vorhin in der Abendmesse.“
Der Kommissar blickte die Lettin erstaunt an, und der Pastor fuhr fort: „Anschließend habe ich sie gefragt, ob sie Lust auf ein Glas Wein hat.“
„Und, hat jemand aus der Gemeinde gesehen, dass du Anna mit in deine Dienstwohnung genommen hast?“
„Na, das hoffe ich doch sehr. Dieses scheinheilige Volk.“ Der Pastor war schon wieder kurz davor, wütend zu werden, besann sich aber eines Besseren. Er erhob sein Glas und sagte: „Auf uns!“ Dann tranken alle und schwiegen eine Weile, so als würde jedes Wort die Heiligkeit des Augenblicks zerstören.
Dann sagte Hassdenteufel: „Anna und ich, wir haben einen Deal. Wir werden sehen, wie lange das gut geht. Jedenfalls wird sie im Umfeld von St. Johannes bleiben, und ich werde das dulden. Zumal sie gegenüber in der Pension Mirabelle gemeldet ist und ein Zimmer hat. Sie wohnt also hier an der Kirche.“
Hassdenteufel grinste und der Kommissar schloss sich an.
„Und moralische Bedenken hast du keine, alter Seelenfänger?“
„Wenige, und die wenigen unterdrücke ich zugunsten des gemeindepädagogischen Effekts. Anna weiß, dass ich ihre, äh…, Berufswahl nicht gutheiße. Aber wie sagt unser Herr so schön: ‚Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.‘ Als Polizist solltest aber gerade du wissen, dass Steinewerfer meistens noch mehr auf dem Kerbholz haben. Übrigens, über das Gleichnis von Jesus und der Ehebrecherin habe ich vorhin auch gepredigt. War ich gut, Anna?“ Hassdenteufel lehnte sich zurück, und allen war klar, dass er nicht wirklich ein Lob für seine Predigt einheimsen wollte. Vielmehr hatte er ein Komplott geschmiedet und genoss es sichtlich, Teil einer Verschwörung gegen die Scheinheiligkeit aller Moralapostel dieser Welt zu sein. Mochte hinter seinem Rücken auch getuschelt werden, das konnte der Pastor aushalten. Er fühlte sich fast wie in seinen Studienjahren, ein bisschen revolutionär.
„Prost!“, sagte Anna und trank einen großen Schluck Wein. Arbeiten gehen würde sie heute wohl nicht mehr.
Simarek hatte fast ein schlechtes Gewissen, als er gegen zweiundzwanzig Uhr aufbrach. Anna hatte beschlossen, noch zu bleiben. Aber wenn der Ruf des Pastors für diesen Abend ohnehin schon ruiniert war, dann konnte er die beiden auch getrost alleine lassen. Zwischen Anna Osolz – ihren Nachnamen hatte sie beim vierten Glas Rotwein preisgegeben – und Gerd Hassdenteufel würde sich nichts abspielen, was dessen guten Leumund ruinieren würde. Oder doch? Fast gönnte der Kommissar dem Freund ein kleines Abenteuer. Und was wusste er schon, was sich hinter verschlossenen Türen abspielte.
Gerade in Beziehungsfragen hatte Simarek in den vergangenen Tagen neue Erkenntnisse gewonnen, die sein bisheriges Koordinatensystem durcheinandergebracht hatten. Deshalb wollte er auch nach Hause, bevor er betrunken war. Denn er wollte Evi noch anrufen, auch wenn er weder wusste, ob sie daheim war, noch welche Schicht sie in dieser Woche hatte. Er wusste auch gar nicht, was er ihr sagen wollte. Er hatte nur so ein Gefühl, dass er es jetzt nicht schleifen lassen durfte.
Als er in seiner Wohnung angekommen war, lüftete er zunächst und trank einen halben Liter Wasser auf ex. Dann kreisten seine Gedanken zunächst um Anna Osolz und Gerd Hassdenteufel, eine Beziehung, die es nie geben würde – war er sich da wirklich sicher? –, dann um Bergmann und seine Frau. Die hatten sich doch eigentlich noch was zu sagen. Irgendwie hatten die den Eindruck eines glücklichen Paares gemacht, das einander versteht. Dann kam ihm Simone Richter in den Sinn. Wieso lebte die nicht in einer funktionierenden Beziehung, wo sie doch wusste, warum Beziehungen scheitern konnten? Wusste sie bei aller Erkenntnis womöglich nicht, was das Geheimnis war, eine Beziehung zum Funktionieren zu bringen? War sie letztendlich auch nur an der Illusion gescheitert, Liebe sei möglich?
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