Ein nackter Arsch
natürlich viel besser.“ Sie blickte auf die andere Frau, die aus ihrem Sessel dem Treiben zwar zusah, aber keine Anteilnahme zeigte.
„Ja, aber sie erinnert sich nicht mehr“, sagte der Kommissar.
„Das würde ich so nicht sagen“, antwortete die Frau. „Gerda erinnert sich nur anders. Ansonsten haben Sie aber Recht. Gerda leidet an einer sehr schnell fortschreitenden Demenz. Das ist umso trauriger, weil sie mit sechzig noch nicht wirklich alt ist.“ Sie seufzte. „Ich bin übrigens Hannelore Siewert. Ich kenne Gerda schon seit der Schulzeit. Ich scheine neben Marius die Einzige zu sein, die Gerda regelmäßig besucht. Meist sitzen wir hier und schweigen uns an. Am Anfang erzähle ich immer den neusten Tratsch aus dem Dorf. Ich weiß nicht, was davon ankommt. Aber die Ärzte und Schwestern meinen, schaden könnt’s nichts.“
„Marius kommt also auch regelmäßig?“
„Natürlich, er hängt sehr an seiner Mama. Wenn er auch nicht wirklich begreift, was mit ihr los ist.“ Die Frau lächelte.
„Kann er dieses Pflegeheim denn überhaupt bezahlen?“, fragte der Kommissar und ahnte die Antwort bereits.
„Natürlich nicht. Alfons hat das bezahlt. Wie auch die Berner-Sennenhunde-Zucht für Marius. Und er hat auch in seinem Testament dafür gesorgt, dass Gerda hier bleiben kann.“
„Hat er Ihnen das erzählt?“
„Hat er. Wir standen in gutem Kontakt. Ich hatte Vollmacht von ihm, hier die wesentlichen Dinge für Gerda zu regeln.“
„Mochten Sie ihn?“ Simarek konnte nicht anders, auch wenn die Frage alles andere als sachlich geboten war.
„Ich weiß, viele Freunde hatte Alfons nicht. Aber ich mochte ihn. Wie er für Gerda gesorgt hat und dass ihm seine Zeit nicht zu schade war, sie freitags teilweise hier zu verbringen, obwohl Gerda keine unterhaltsame Gesprächspartnerin mehr ist, das hat mir schon gefallen.“
„Frau Siewert, was für ein Verhältnis hatte Alfons Schmidtbauer zu Gerda?“
„Jetzt würde ich sagen, ein freundliches. Vor gut dreißig Jahren war da mal mehr.“ Hannelore Siewert lächelte mild.
„Wie viel mehr?“
„Sagen Sie bloß, das haben Sie nicht gesehen? Na ja, man muss schon sehr genau hinschauen. Aber ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Marius Wagner dem Alfons Schmidtbauer doch etwas ähnlich sieht?“
Dem Kommissar verschlug es die Sprache. Nein, es war ihm nicht aufgefallen und Fabio offenbar auch nicht. Aber jetzt, wo Hannelore Siewert ihn darauf brachte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Schmidtbauer war korpulent gewesen und Marius war schlank. Aber die Nase und der Mund, da waren eindeutig Ähnlichkeiten. Wie konnte er so blind gewesen sein?
„Sie wollen mir sagen, Alfons Schmidtbauer ist der Vater von Marius Wagner“, stellte Simarek fest. „Und weiß Marius das auch?“ Bei der Frage zog er eine Augenbraue leicht hoch.
„Gerda hat es ihm nie gesagt, aber Alfons hat für ihn gesorgt. Und wenn morgen das Testament eröffnet wird, dann werden sich einige wohl sehr wundern. Denn soweit ich weiß, erbt Marius fast alles. Schmidtbauer hat die Vaterschaft damals offiziell anerkannt. Er wollte ein Kind. Und als das mit seiner Frau nicht klappte, hat er eins mit Gerda gezeugt. Nur dass Marius vermutlich nicht ganz so helle war, wie sein Vater sich das gewünscht hätte.“ Wieder dieses milde Lächeln, das Hannelore Siewert zeigte, so als ob sich darin ihre Sichtweise der Welt ausdrückte.
Simarek schwieg und blickte auf Gerda Wagner, deren Sohn Marius offenbar am nächsten Tag ein Vermögen erben sollte. Für sie würde sich dadurch wohl nichts ändern. Die Tage würden bleiben, wie sie waren. Nur Alfons Schmidtbauer würde sie nicht mehr besuchen kommen. Morgen war Freitag. Ob sie bemerken würde, dass sein Besuch ausblieb? Schwer zu sagen. „Sie erinnert sich nur anders“, hatte Hannelore Siewert gesagt. Und hier hatte er endlich jemanden gefunden, der freundlich über Schmidtbauer gesprochen hatte. Vielleicht war die Welt doch nicht so trostlos, dachte der Kommissar, als er sich von Hannelore Siewert verabschiedete. Sie würde Gerda Wagner weiterhin donnerstags besuchen.
Simarek hatte darauf verzichtet, Hannelore Siewert zu fragen, wer Schmidtbauer ermordet haben könnte. Insofern war der Besuch im Pflegeheim ein totes Gleis. Weder Mörder noch Motiv waren hier zu finden, aber immerhin jemand, der Schmidtbauer ein bisschen Sympathie entgegengebracht hatte. Und auch für Fabio hatte sich der Termin gelohnt. Er war gerade dabei,
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