Ein nackter Arsch
Die Fantasie drohte mit ihm durchzugehen. Von Simone Richter kam Simarek schnell auf Gesine Mollet und Alfons Schmidtbauer, eine total kaputte, eine kranke Beziehung, wie er fand. Und wo stand nun er mit Evi? Eher da, wo auch die Bergmanns standen? Hoffte er das nur, oder glaubte er das auch? Die Gedanken in seinem Kopf drehten sich immer schneller. Immer mehr Fragen ohne Antworten stürmten auf ihn ein. Er wollte das durchbrechen und griff zum Hörer.
„Evi Katschmarek ist nicht da. Schade eigentlich. Sprich aufs Band. Ich ruf zurü-hück.“ Wie oft hatte er diese Ansage schon gehört und sie gebeten dieses „Zurü-hück“ zu ändern? Aber der rheinische Singsang war Evi nicht auszureden gewesen. Und so flötete sie jetzt bereits seit mehr als vier Jahren denselben Spruch von ihrem Anrufbeantworter.
„Evi, ich bin’s. Das ist alles nicht so gut gelaufen die letzte Zeit.“ Simarek rang nach Worten. „Äh, aber das kriegen wir hin. Wir müssen uns nur bemühen.“ Er stockte. „Also, egal ob der Fall bis zum Wochenende gelöst ist oder nicht, am Samstag komme ich nach Köln. Versprochen. Und notfalls gehe ich sogar mit dir ins Stadion.“
Das war das größte Opfer, das er bringen konnte, mit Evi zum Fußball zu gehen. Denn Simarek war Fußball als Sport und als Ausdruck von Lebensgefühl herzlich egal. Aber was jetzt zählte, war der gute Wille. Und zu diesem Zeitpunkt wusste der Kommissar noch nicht, dass dieses Opfer nicht nötig sein würde. Denn Evis 1. FC Köln spielte erst am Montag wieder. Glück gehabt, Simarek. Denn da würde er auf jeden Fall wieder in Saarbrücken sein.
Donnerstag, 17. Oktober 2002
Sie gingen Arm in Arm das Saarufer entlang, sie in einem weißen Seidenkleid, das ihre Schönheit verhüllend betonte, er in einem smarten schwarzen Anzug mit einer roten Aster im Knopfloch. Sie lächelte ihn an, und ihm war der Stolz darüber anzumerken, mit einer solch schönen Frau in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Dabei ließen sie sich von ihrer Umgebung nicht stören und gingen, in ihr Gespräch vertieft, langsamen Schrittes voran, ohne einen Anflug von Eile oder Ungeduld zu zeigen. Dann blieben sie plötzlich stehen und fielen sich in die Arme, wobei sie sich wild küssten und einander gar nicht mehr loslassen konnten. Eine Gruppe Grauhaariger, allesamt Männer, sie mochten Banker oder Versicherungsvertreter sein, näherten sich dem Paar und blickten argwöhnisch auf das Treiben der beiden. Doch die ließen sich nicht stören, bis…
…der Wecker klingelte. Simarek drückte sich das Kissen aufs Gesicht, denn in seiner Wohnung wurde es langsam hell. Noch fünf Minuten liegen bleiben und den Traum aus den Gedanken scheuchen. Was hatte er seinem Freund Gerd da gerade angedichtet, ein leidenschaftliches Verhältnis zu Anna? Gerd Hassdenteufel sozusagen als Lettin-Lover. Haha, welch geistreiches Wortspiel am Morgen. Simarek knurrte. Aber hatte er gestern Abend nicht den Eindruck gehabt, dass es knisterte zwischen dem Pastor und der hübschen jungen Frau aus der Nähe von Riga? Und klar, die grauen Herren waren nicht aus Michael Endes „Momo“ entliehen, sondern aus der Realität. In ihnen bildeten sich die tugendhaften Sittenwächter von St. Johannes ab. Simarek brauchte noch eine Weile, bis ihm klar wurde, dass es ein Traum war und nicht die Wirklichkeit. Er hatte Anna und Gerd in seiner Fantasie zusammengebracht. Gleichwohl dachte er, er würde es dem Pastor gönnen. Doch dann verscheuchte er den Traum endgültig.
Er klaubte die auf dem Boden liegende Wäsche zusammen und warf sie in die Waschmaschine, zusammen mit dem Berg, der sich in seinem Badezimmer bereits auftürmte. Er wählte Buntwäsche und sechzig Grad, obwohl auch Koch- und Feinwäsche darunter war. Doch für solche Unterscheidungen fehlte ihm der Sinn. Ein paar seiner T-Shirts sahen genau danach aus. Dann startete er die Waschmaschine. Alles Weitere würde diese selbständig erledigen, abgesehen vom Aufhängen der Wäsche zum Trocknen. Das nahm er sich für den Abend vor, zog seine alte Cargohose an, die er sonst nur für Putz- und Aufräumaktionen trug, und verließ pünktlich um acht seine Wohnung, um noch sein Auto zu holen und einen schnellen Kaffee an der Wilhelm-Heinrich-Brücke zu trinken. Außerdem hatte er Lust auf ein paar Croissants. Die waren bei Pit wirklich gut.
„Moin“, grüßte der Wirt, der gerade Krümel von einem Stehtisch wedelte, als der Kommissar das kleine Bistro betrat.
„Wie immer“,
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