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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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bringt ihrem alten Papi das Frühstück ans Bett. Mir gefällt das«, sagte Lousia.
    »Der Papi kriegt noch mehr als Frühstück ans Bett«, beharrte Dalziel. »Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock. Ich erkenne ein Flittchen zehn Kilometer gegen den Wind.«
    »Offensichtlich hatte ich nicht Ihre privilegierte Erziehung«, sagte das Mädchen. »Aber wenn es stimmt, was Sie sagen, und sie tatsächlich Pappys Geliebte ist, was spielt das für eine Rolle? Er ist eben so alt und so konventionell, dass er meint, eine Tarnung zu brauchen, das ist alles. Ihre Generation hat doch die Scheinheiligkeit zur Kunstform erhoben.«
    »Was sind Sie eigentlich, Miss Fielding?«, fragte Dalziel plötzlich.
    Sie war verblüfft und sah ihn sprachlos an.
    »Ich meine, alle anderen sind irgendwas oder haben irgendwas getan. Aber
Sie?
Wie alt sind Sie? Achtzehn? Neunzehn? Zwanzig? Was machen
Sie
denn?«
    »Haben Sie das nicht mitbekommen?«, fragte sie. Sie hatte sich bereits wieder von ihrer Überraschung erholt. »Ich habe eine Beteiligung an einem Restaurant. Man könnte auch sagen, es gehört mir. Oder wird mir einmal gehören.«
    »Was? Ach, das Haus. Sie hoffen also, von Ihrer Erbschaft leben zu können? So geht es immer. Was die eine Generation erwirtschaftet, verprasst die nächste.«
    »Niemand bittet darum, geboren zu werden, Mr. Dalziel.«
    »Und nur wenige geben dieses Geschenk zurück.« Dalziel versuchte sich zu erinnern, wie es war, als er neunzehn gewesen war.
    Die Mädchen, die er kannte, waren anders gewesen, aber war das vielleicht eher auf den Klassenunterschied als auf andere Zeiten zurückzuführen? Ein bisschen von beidem. Die Zeiten änderten sich, aber gewisse Zugeständnisse konnte man immer machen.
    Mit der Klassenzugehörigkeit verhielt es sich anders. Dalziel war für ein relativ rigides Klassensystem. Mit Menschen, die sich ihrer sozialen Stufe bewusst waren, ließ es sich leichter umgehen – oder, wenn man deutlich werden wollte, man konnte sie leichter manipulieren. Darum ging es auch in seinem Beruf. Aber in erster Linie hatten solche Menschen ein Gefühl für das, was sie waren, während dieses junge Gemüse hier sich anscheinend nicht die geringsten Gedanken machte, ob es
überhaupt
etwas war. Und wenn man nicht aufpasste, ließ man sich leicht davon anstecken. Dann wachte man plötzlich auf und spürte, wie die durch Selbstzweifel verursachte Gefühllosigkeit sich bis ins Herz ausbreitete.
    Er stand auf und ging in die Küche, um noch einmal Wasser aufzusetzen.
    Die junge Frau saß reglos da und inhalierte den Dampf aus ihrer Tasse.
    Sie könnte auch erst zwölf, dreizehn sein, dachte er, als er ihre Schultern von hinten betrachtete.
    Plötzlich machte ihn etwas an ihrem Alter stutzig, etwas, das so offensichtlich war, dass er sich fragte, wie er es so lange hatte übersehen können.
    »Wie alt ist Bertie?«, fragte er und tat einen Löffel Kaffeepulver in seinen Becher.
    »Vierundzwanzig. Warum?«
    »Und Nigel ist fünfzehn. Und sie sind Ihre Stiefbrüder?«
    Umständlich goss er Wasser darauf und suchte die Milch. Aus dem Vorraum erschallte Gelächter.
    »Ah, ich verstehe. Es ist Ihnen gerade aufgefallen. Ja, Bonnie bekam Bertie kurz nachdem sie Conrad zum ersten Mal begegnete. Ich glaube, seine Armeeuniform hatte es ihr angetan. Sie liebt nämlich Männer in Uniform. Sie hat Bertie allein erzogen, als sie meinen Vater kennenlernte. Sie haben geheiratet. Dann bin ich gekommen. Dann ist Daddy gestorben, und wer taucht plötzlich wieder auf? Conrad. Diesmal war sie klug oder dumm genug, ihn vor den Altar zu schleifen. Und nach insgesamt fünfzehn angesammelten Ehejahren sind wir jetzt alle hier vereint. Eine glückliche Familie.«
    »Verstehe«, sagte Dalziel.
    »Sie haben aber recht lange dazu gebraucht«, sagte sie und sprach plötzlich lauter. »Ich dachte, jeder könne auf den ersten Blick erkennen, dass Bertie ein Bastard ist.«
    Als er wieder im Vorraum war, sah er den Grund für ihren Tonwechsel. Bertie stand in der Tür. Dalziel sah auf die Uhr. Es war gerade mal sieben. In diesem Haus gab es anscheinend lauter Frühaufsteher. Bertie war komplett angezogen und, nach dem Aussehen seiner Schuhe zu urteilen, auch schon draußen gewesen.
    »Lasst euch bloß nicht unterbrechen«, sagte der feiste Jüngling und ging nach hinten in die Küche. Im Vorübergehen warf er einen giftigen Blick auf Dalziels Becher, sagte aber nichts.
    »Morgen«, sagte Dalziel. »Wie ist es draußen?

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