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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Hai. Aber selbst Haie konnten in unbekannten Gewässern auf Grund laufen.
    »Wie viel Geld hatten Sie sich denn vorgestellt, dass Sie machen würden, Mrs. Fielding?«
    »Kann ich eigentlich nicht sagen. Finanzen sind nicht unbedingt meine starke Seite. Ich wüsste wahrscheinlich nicht mal, wie herum man die
Financial Times
hält. Aber die Bruttoeinkünfte kann man sich leicht ausrechnen. Fünf Pfund pro Person, da ist aber die Mehrwertsteuer dabei, also vier fünfzig. Fünfhundertvierzig für einen ausverkauften Abend. Bertie sagt, im Norden sind Veranstaltungen wie diese an sechs Abenden in der Woche ausverkauft
und
Monate im Voraus ausgebucht. Also sechs mal fünfhundertvierzig.«
    »Dreitausendzweihundertvierzig die Woche«, sagte Dalziel. Die Zahl beeindruckte ihn nicht. Einnahmen waren nichts ohne Ausgaben. Er hatte zwar noch nie Dickens gelesen, aber von Mr. Micawber hatte er schon gehört.
    »Und was kriegen die Leute für ihren Fünfer?«, fragte er.
    »Suppe«, antwortete sie. »Ein halbes Hähnchen. Spareribs. Kalte Nachspeise. Roggenbrot. Salat. Einen halben Liter Rotwein. Kaffee. Und ein Abendprogramm.«
    »Uniff an der Gitarre. Tillotson, der über seine eigene Schamkapsel stolpert«, setzte er fort. Er hatte es nicht sarkastisch gemeint, und sie war auch nicht gekränkt.
    »Sie können noch mehr zahlen und weniger kriegen«, sagte sie. »Versuchen Sie mal, aus dem ›Lady Hamilton‹ mit einem vollen Bauch und Restgeld von einem Fünfer herauszukommen. Und da haben Sie noch nichts getrunken, und gesehen haben Sie auch nichts. Wir haben natürlich auch eine Bar.«
    »Tatsächlich?« Das konnte den Gewinn natürlich verdoppeln. Die Leute kamen in Gruppen, in einem Minibus, einem Taxi, einem Reisebus. Sie mussten nicht selbst fahren. Mal ein Abend, an dem man sich gehenlassen kann, ohne Ärger mit der blöden Polizei befürchten zu müssen.
    »Die Idee klingt nicht schlecht«, sagte er.
    »War sie auch nicht«, antwortete sie. »Conrad wird es leidtun, das nicht mehr zu erleben, wo immer er jetzt ist.«
    Dalziel sah sie wieder an. Mit etwas ratloser Miene starrte sie hinaus in die Nacht.
    »Vielleicht aber auch nicht«, fuhr sie fort. »Das ist einer der geradesten Streckenabschnitte im ganzen Land. Schauen Sie.«
    Sie zeigte ihm, wohin. Dalziel starrte ein paar Sekunden in die Schwärze, ehe er das Licht darin ausmachte.
    »Ein Zug«, sagte sie. »Einer unserer seltenen Expresszüge. Conrad und ich sind oft auf dieser Brücke stehen geblieben, wenn wir vom Dorf zurückkamen. Muss ziemlich genau um diese Zeit gewesen sein, denn wir sahen dann immer den Zug.«
    Das Licht wurde größer, und jetzt war auch der Klang der Räder auf den Schienen deutlich zu hören.
    »Der muss hier an die hundertfünfzig draufhaben oder wie schnell Züge eben fahren können«, fuhr Bonnie fort. »Conrad stand immer hier und sah zu, wie er näher kam. Als könne er seinen Blick nicht abwenden. Und wissen Sie, was er einmal zu mir sagte, in einer eisigen Nacht mitten im Winter? ›Bonnie‹, hat er gesagt, ›Bonnie, ist dir klar, dass es nur noch ein Schritt bis in den Sommer ist?‹«
    Es sah aus, als lege die Diesellok die letzten paar hundert Meter mit einem einzigen Sprung zurück, das Horn plärrte sein Dreitonsignal über das stille Land hinaus, und als der Zug sich mit voller Wucht unten durch die Brücke drängte, ließ der Druck der nach oben gepressten Luft Dalziel unwillkürlich einen Schritt rückwärts machen. Bonnie regte sich nicht.
    »Scheißschritt«, sagte Dalziel.

[home]
    7
    Herumgeeiere
    A m nächsten Morgen erwachte Dalziel früh und spürte, in der Dunkelheit liegend, dass da etwas Bedrohliches seiner harrte. Er zwang sich, sich zu entspannen, und als sich die Konturen und Ecken des fremden Zimmers langsam in verschiedenen Graustufen abzuzeichnen begannen, schwand auch das Gefühl der Bedrohung. Dafür manifestierte sich etwas Schlimmeres als Furcht, nämlich eine Ahnung der grauen Stunden, Tage und Wochen, die sich vor ihm erstreckten wie eine Wüstenlandschaft von ununterbrochener, zermürbender, ungeteilter Monotonie.
    Depression sei eine Krankheit, hatte man ihm gesagt. Im vergangenen Jahr hatte ihn eine Reihe körperlicher Symptome so beunruhigt, dass er sogar seinen Arzt konsultiert hatte, der ihn mit vielen Warnungen und Verboten bezüglich Ernährung, Alkohol und Tabak – dem üblichen Unsinn eben – nach Hause geschickt hatte. Paradoxerweise hatten ihn jedoch seine Bemühungen, sich an

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