Ein neuer Anfang?
sie ihn verurteilte und für nicht gut genug befand. Dann hätte er es ihr mit gleicher Münze heimzahlen können. Es wäre so viel leichter gewesen, wenn sie ihrer Mutter ähnlicher gewesen wäre. Oberflächlich, mit konventionellen Wertvorstellungen. Stattdessen sah sie mitfühlend und verständnisvoll zu ihm auf.
„Ich bin im Armenviertel, in der Barton Street aufgewachsen. Kennen Sie die Gegend?“
„Nein. Ich habe davon gehört, bin aber nie dort gewesen.“
„Das hätte ich auch nicht von Ihnen erwartet.“ Adam beobachtete einen Vogel, der im flachen Wasser herumplanschte. „Während meiner Kindheit lebte eine ganze Reihe von ‚Onkeln‘ bei uns zu Hause.“
Er spricht so sachlich, als würde er die Aktienkurse vorlesen, dachte Kiloran. Ob sein Herz wohl so verhärtet war, wie sein Gesicht es andeutete? „Das muss schrecklich für Sie gewesen sein.“
Adam betrachtete sie. Vermutlich empfand sie seine Erzählung so, als würde er das Leben auf dem Mars beschreiben! „Schrecklich? Ja, das kann man wohl sagen. Je älter ich wurde, umso schwerer fiel es mir, damit zu leben. Aber ich hatte einen Ausweg gefunden. Ich war gut in der Schule, und ich arbeitete hart. Auch samstags in meinem Job in der Bäckerei in der Stadtmitte. Kennen Sie sie?“
„Ja, natürlich.“
Plötzlich wurde ihm klar, dass er noch nie jemandem davon erzählt hatte. Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend hatte er seit Jahren verdrängt. Kamen sie jetzt an die Oberfläche, weil er wieder in seiner Heimatstadt war? Und warum redete er ausgerechnet mit ihr darüber?
„Von Anfang an sparte ich jeden Cent, den ich verdiente. Ich wusste, dass ich das Geld brauchen würde, um aufs College gehen zu können.“
Kiloran sah ihn aufmerksam an. „Und was geschah dann?“
„Da ich manchmal nachts arbeitete, besaß ich einen Schlüssel zur Bäckerei.“ Er machte eine Pause. Das Schweigen lastete schwer zwischen ihnen. „Eines Nachts stahl der damalige Liebhaber meiner Mutter den Schlüssel. Er brach in die Bäckerei ein und nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfest war, unter anderem den Inhalt der Kasse. Am nächsten Morgen war er mit meiner Mutter verschwunden.“
„Ihre Mutter auch?“ fragte sie entsetzt.
„Ja.“
„Wie ging es dann weiter?“
„Ich wurde natürlich entlassen. Mein Chef drohte mit der Polizei, sofern ich das Geld nicht zurückzahlen würde. Aber wie sollte ich einen Job finden, wenn mich die Menschen für unehrlich hielten? Da kam mir Vaughn zu Hilfe.“ Adam blickte starr in die Ferne. Seine Miene war sehr hart. „Verstehen Sie jetzt, wie tief ich in seiner Schuld stehe? Er war der Einzige, der mir vertraute, als niemand sonst mir eine Chance geben wollte.“
Kiloran nickte erschüttert. „Was ist mit Ihrer Mutter? Besuchen Sie sie manchmal?“
„Ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen“, antwortete er ausdruckslos. Anfangs hatte er es nicht gewollt. Dafür hatte ihr Betrug ihn zu sehr verletzt. Im Lauf der Zeit hatte er den Gedanken an seine Mutter verdrängt. Das war ihm als das Beste und Einfachste erschienen. Außerdem gehörte er inzwischen zur Prominenz. Hätte sie da nicht zu ihm kommen sollen, nach allem, was sie ihm angetan hatte?
„Na, wie fühlen Sie sich nun, Kiloran? Stark und mächtig?“
„Nein, wieso sollte ich? Wir können doch nicht bestimmen, wo wir geboren werden.“ Mit Unbehagen erinnerte sie sich an das Verhalten ihrer Mutter. Wie oft hatte Kiloran so getan, als würde sie nichts merken. Sie hatte die Augen vor der Realität verschlossen und die Daumen gedrückt, dass es nicht wahr war. Oder dass es sich bald ändern würde. Erst die Heirat ihrer Mutter hatte ihr ermöglicht, sich endlich wie eine Erwachsene zu fühlen und zu benehmen. „Außerdem sind Sie hier zurzeit die Autoritätsperson, Adam. Wenn sich also einer stark fühlen kann, dann Sie!“
Ihre Worte brachten ihn von der Vergangenheit ab und wieder in die Gegenwart. „Glauben Sie wirklich, dass der Bestand so kleiner Betriebe wie Ihrer Firma in irgendeiner Weise gesichert ist?“ fragte er sanft. „Es ist nicht Ihr gottgegebenes Recht, all dies zu besitzen und darüber zu bestimmen. Einige Bereiche unserer Gesellschaft wandeln sich, andere bleiben bestehen. Und die Menschen müssen sich den Zeiten anpassen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass unser Fall hoffnungslos ist?“
Adam schüttelte den Kopf. Kiloran sah ihn so verzweifelt an, dass sich sein Gewissen regte. Warum tat er ihr dies an? Wollte
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