Ein neuer Anfang?
Rasen war frisch gemäht, und der Duft von geschnittenem Gras weckte die Erinnerung an frühere Frühlingstage. Einen Moment lang war sie wieder das Kind, das über die sonnenbeschienenen Rasenflächen gelaufen war. Wie harmlos und einfach das Leben damals doch gewesen war!
War es das wirklich gewesen?
Die Stimmungsschwankungen ihrer Mutter, ihre Launen und ihr unberechenbares Verhalten hatten ihre Kindheit überschattet. Jetzt erinnerte Kiloran sich allerdings an ein glückliches kleines Mädchen, das in der Sonne Frühlingsblumen pflückte.
Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie neben Adam herschritt. Die Vögel sangen, und der Wind strich wispernd durch das junge Grün der Bäume.
„Du bist heute Morgen sehr still“, bemerkte Adam.
„Hm.“ Sie sah zu ihm auf. Irrte sie sich, oder wirkten seine grauen Augen kühl, als würde er sie auf Abstand halten?
„Weißt du den Weg noch, Adam?“
Anscheinend ja. Jedenfalls trugen ihn seine Füße automatisch einen Weg entlang, den er seit Jahren nicht mehr gegangen war. Sie kamen an einer Bushaltestelle vorbei.
Adam blieb stehen. „Von hier bin ich damals nach London gefahren. Noch am selben Tag, an dem ich bei Lacey’s aufgehört habe.“ Nachdenklich blickte er in die Ferne.
Kiloran nickte. „Erzähl weiter, Adam.“
Adam schob die Hände tief in die Hosentaschen. „Der Tag war grau.“ So grau wie die wüste Landschaft seines Komas. „Ich hatte die Taschen voll Geld, das ich bei Lacey’s verdient hatte.“ Er erinnerte sich, wie leicht ihm ums Herz gewesen war ohne die alte Schuldenlast. Aber gleichzeitig hatte er ein Gefühl der Leere empfunden. Warum? Warum denn nur?
Im Bus war ihm ein Mädchen aufgefallen. Sie hatte eine Kette mit einem herzförmigen Anhänger getragen und dazu ein eng anliegendes Kleid aus Goldlamé, das eher auf einen Ball gepasst hätte. Der farbliche Kontrast zu ihrem schwarzen Haar hatte ihn beeindruckt. Sie war ebenfalls nach London unterwegs gewesen und hatte auf der Fahrt eine Tüte Obst mit ihm geteilt.
Er war einen, vielleicht auch zwei Monate mit ihr zusammengeblieben, und sie hatte die Leere, die er empfunden hatte, für eine Weile ausgefüllt. Dann war er weitergezogen. Er war rastlos gewesen. Wie ein Hai, der unermüdlich auf der Jagd war.
„Und?“ Kiloran sah ihn erwartungsvoll an.
Ihr Blick machte ihm bewusst, dass er sie nicht verletzen durfte. Also behielt Adam die Erinnerung an das Mädchen im Bus für sich. „Ich fuhr nach London und machte mein Glück“, sagte er leichthin. „Ganz wie Hans im Glück.“
„Aber ein Schwein hattest du vermutlich nicht dabei?“
Er lachte. „Stimmt. Ein Schwein hatte ich nicht.“
„Hier ist der Laden“, sagte Kiloran.
Der ehemalige Dorfladen, in dem man vorwiegend frisches Obst und Gemüse aus der Region verkauft hatte, hatte sich in einen hell erleuchteten modernen Supermarkt mit viel Plastik und Werbeplakaten verwandelt. Neuerdings gab es dort wieder Produkte aus der Umgebung. „Wir führen biologisches Gemüse und Eier von frei laufenden Hühnern“ stand auf einem Schild am Eingang.
So kehrt alles zu seinen Anfängen zurück, dachte Kiloran. Sie seufzte. An diesem Tag erschien ihr alles so bedeutungsvoll und schwer.
Adam ging vom Laden aus weiter die Straße hinunter. Sie kamen an einer Reihe Cottages vorbei, die wie aus dem Bilderbuch wirkten. Frisch geweißt, blitzblank geputzt und mit blühenden Rosen neben den Haustüren. Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass er die Menschen, die hier lebten, immer beneidet hatte. Hier wohnten richtige Familien. Aus den Fenstern dieser Häuser fiel immer gemütliches Licht. Dort drinnen saßen Familien gemeinsam am Tisch und aßen. Wie oft hatte er als Kind sehnsüchtig von draußen durch die Fenster geblickt!
Nach einer Weile rückten die Häuser dichter zusammen. Hier und da lag Abfall in den Ecken. Es roch unangenehm. Dann kamen sie an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, die ihnen argwöhnisch nachblickten. Diese Kinder hatten früh ihre Unschuld und ihr Vertrauen verloren. So ein Junge war ich auch einmal, dachte Adam.
An der nächsten Kreuzung bog er mit Kiloran ab und ging eine schmale Straße etwa bis zur Hälfte entlang. Dann blieb er stehen. Hier gab es nur Reihenhäuser. Das Haus seiner Kindheit sah anders aus als früher. Jemand hatte die Haustür gelb angestrichen. Er hätte eine andere Farbe bevorzugt, aber zumindest hatte jemand versucht, etwas Farbe hineinzubringen. Auf der Fensterbank stand ein
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