Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
reichte von ihren Nüssen. Im Laufe der Konversation wurde ich müde, zog mich in mein Bett zurück und gönnte Körper wie Geist ein wenig Ruhe.
Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sich das Gewitter verzogen, der Regen aufgehört. Die Einheimischen teilten die Begeisterung der Pilger über eine regenlose Zeit nicht. Sie brauchten Wasser für ihre Felder. Ich zog meine Schuhe an, weil ich mir den Ort ansehen wollte. Einige Häuser standen leer. Ich ging zur Kirche, die glücklicherweise geöffnet war. Eine angenehme Stimmung herrschte in dem Gotteshaus, das nicht viel Prunk und Gold in sich bewahrte. Ich war kein großer Fan der riesigen Kathedralen. Das Gold und die Edelsteine, mit denen Menschen früherer Zeiten sie geschmückt hatten, hätte ich verkauft und den Armen, die ausgebeutet und unterdrückt wurden, von dem Erlös Nahrung gegeben. Wozu die ganze Pracht?
Auf dem Kirchenvorplatz kam mir der Spanier, der in Lorca im Bett über mir geschlafen hatte, entgegen, als ich aus der Kirche trat. Wir reichten uns die Hände. Er erzählte mir, dass auch er in Agés untergebracht sei. Demnach musste es in dem kleinen Ort eine weitere private Herberge geben, die ebenfalls nicht in meinem Reiseführer beschrieben war. Umso besser, dachte ich. Dann erhöhen sich die Chancen für Pilger, die in San Juan de Ortega kein Bett erhalten würden. Die zahlreichen neuen privaten Herbergen zeigten, dass sich immer mehr Menschen auf Pilgerschaft begaben. Ich freute mich für jeden, der ähnliche Erfahrungen wie ich machen durfte. Wertvolle Erfahrungen, wie ich glaubte.
Während meiner Reisen nach Asien, Australien, Afrika und in viele Länder Europas habe ich festgestellt, dass die meisten Menschen friedlich, gastfreundlich und hilfsbereit sind. Lediglich eine Minderheit ist feindlich eingestellt. Traurig macht mich, dass diese Minderheit das Weltgeschehen in einem unvorstellbar negativen Ausmaße bestimmt. Und bedauerlicherweise ist diese Minderheit in den Medien zu oft präsent, was ich unverantwortlich finde. Leider steht bei vielen Meldungen lediglich Sensationsgehabe im Vordergrund. Natürlich ist es wichtig, über die Missstände unserer Zeit aufzuklären, um den Menschen zu helfen, die in Not sind und Leid ertragen müssen. Einzig die Art und Weise, wie dies geschieht, ruft in mir immer wieder Fassungslosigkeit hervor. Aufklärung und Information sind äußerst sensibel zu handhaben, weil die Medien Menschen in einem hohen Maße beeinflussen können. »Das stand doch in der Zeitung! Das habe ich in den Nachrichten gesehen!« Wie oft schon habe ich diese Sätze gehört. Tagtäglich, ob gewollt oder unbewusst, lesen die Menschen auf den Titelseiten der großen Boulevardblätter: »Altersarmut! Sind die Renten noch sicher? Alles wird teurer! Gibt es noch eine Zukunft für unsere Jugend? Keine Arbeitsplätze! Alles ist schlecht!« Und oft befindet sich hinter der Schlagzeile ein Fragezeichen, das die meisten nicht mitlesen. Wie sollen Menschen, die bereits vielerlei Ängste in sich tragen, mit so viel Negativität glücklich leben? Ihre Angst wird noch geschürt. Haben sich die Medienvertreter darüber einmal Gedanken gemacht? Ich glaube nicht, sonst würden sie anders handeln.
Was in der Zeitung geschrieben steht oder über Radio und Fernsehen ausgesendet wird, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Für mich beinhalten die Göttlichen Gesetze eine viel größere Intelligenz und Weisheit. Es gibt viel Gutes, sehr viel Gutes auf unserer Erde, von dem nicht berichtet wird. Wir müssen wieder hingehen und das Gute leben, an das Positive glauben und gegen das Negative angehen. Und das geht am besten mit Liebe. Liebe hat noch jeden Hass, jede Aggression und alles Negative besiegt. Diejenigen, die sich auf dem falschen Weg befinden, brauchen am meisten Liebe und Segen. Denn sie sind die wirklich Armen. In das Bewusstsein der Menschen muss eindringen, dass sie es wert sind, Gutes zu erfahren und liebevoll mit sich, der Erde und ihren Mitmenschen umzugehen.
Vor der Herberge saßen die Holländerinnen an einem kleinen Tisch und tranken Wein. An jenem Abend kam ich mit einer Gruppe Spanier, Franzosen und den Holländerinnen in den Genuss einer hervorragenden Paella. Ich bewunderte die Sprachkünste der neben mir sitzenden Frau aus den Niederlanden. Sie sprach sechs Sprachen fließend und diente uns gerne als Übersetzerin.
Eine meiner besseren Nächte auf dem Camino lag hinter mir. Der Kaffee in den Thermoskannen war nicht
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