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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
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Schokolade bewusst. Kurzentschlossen aß ich zwei Bananen und Schokolade, um meinen Rucksack zu erleichtern.
    Es war heiß, ich legte nicht viele Pausen ein, weil ich vorankommen wollte. Erschöpft erreichte ich nach 36 Kilometern Sarrià. An einem Denkmal, im Schatten lehnend, überlegte ich, weitere 4,5 Kilometer bis zum nächsten Ort zu gehen. Plötzlich kam Michael mit einer jungen großgewachsenen Frau, die mir in der Bar, wo Coelhos Bild hing, aufgefallen war, auf mich zu. Sie wirkten traurig und müde.
    »He, Mano!«, begrüßte mich Michael.
    »Hallo, Michael!«
    »Das ist Tanja«, wandte er sich der hübschen Frau zu, die mir ihre Hand entgegenstreckte mit den Worten: »Ich wusste, dass wir uns irgendwann treffen würden. Michael hat mir viel von dir erzählt.«
    »Du, Mano«, sprach Michael sichtlich bedrückt. »Hast du von Werner gehört? Er ist gestern Nacht in der Herberge am O’Cebreiro gestorben.«
    »Nein«, erwiderte ich betroffen.
    »Lass uns erst mal zur Herberge gehen, dann erzähle ich dir, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hat.«
    Vor einer Bar fragte uns ein schwarzhaariger Mitfünfziger, ob wir für sechs Euro in seinem Hostal übernachten möchten. Wir lehnten dankend ab und gingen zur Herberge, die sich in unmittelbarer Nähe befand. Weil in der Herberge alle Betten belegt waren, versuchten wir es in der Bar. Der Besitzer, eben jener Mitfünfziger, bot uns nun ein Dreibettzimmer für acht Euro pro Person an. Ich protestierte und erinnerte ihn daran, dass Minuten zuvor der Preis sechs Euro betragen hatte. Natürlich war der Grund der Preiserhöhung unsere Situation, die sich auf Grund der vollbesetzten Herberge zu seinem Vorteil verändert hatte. Ich gab ihm deutlich zu verstehen, mit seiner Einstellung nicht einverstanden zu sein. Letztendlich einigten wir uns auf sieben Euro. Das Zimmer war schlicht und einfach und wir glücklich, ein Bett für die Nacht zu haben. In einer Nische entdeckte ich eine zusammengeklappte Notliege, die ich länger betrachtete, obwohl ich nicht wusste, warum.
    Michael saß auf seinem Bett. Erschöpfung und Traurigkeit standen in seinem Gesicht geschrieben. Mit feuchten Augen begann er zu erzählen: »Letzte Nacht gegen eins fiel Werner plötzlich aus seinem Bett. Jemand schrie, man solle Licht machen und einen Arzt verständigen. Ich sprang aus meinem Bett und holte Tanja, die in einem anderen Raum schlief, weil ich wusste, dass sie Ärztin ist. Wir fingen sofort an Werner zu reanimieren, weil alle Zeichen auf eine Herzattacke deuteten. Tanja gab ihm Herzdruckmassagen und ich spendete ihm Atem. Als ich erschöpft war, löste mich Ubaldo, ein Italiener, ab. Tanja und Ubaldo kämpften mit all ihren Kräften um Werners Leben, bis die Ambulanz endlich eintraf. Doch die konnten nichts mehr tun. Er ist gestorben«, flüsterte Michael mit tränenerstickter Stimme. Dann brachte er kein Wort mehr hervor. Ich setzte mich neben ihm aufs Bett, drückte ihn und musste ebenfalls weinen. Auch Tanja weinte.
    »Tanja«, versuchte ich sie zu trösten. »Ihr habt alles Menschenmögliche getan, Werner zu retten. Mehr konntet ihr nicht tun.«
    Werner war mir bewusst nie begegnet. Michael kannte ihn, von gelegentlichen Gesprächen. Ruhe breitete sich im Raum aus, niemand sprach. Wir schauten uns nur an.
    Nachdem ich mich unter der Dusche vom Schweiß des Tages befreit hatte, ging ich in die Bar, bestellte ein Gläschen Rotwein und eine Kleinigkeit zu essen. Vor der Bar saß Meike aus Holland, mit der ich mich einige Male unterhalten hatte. Ich setzte mich zu ihr und fühlte sogleich, dass auch sie sich in einer bedrückten Stimmung befand. Sie wusste von Werners Tod.
    Michael, der sich kurze Zeit später zu uns gesellte, erzählte von seiner Absicht, Werners Pilgerausweis in jeder Herberge, in der er bis Santiago einkehrt, einen Stempel zuführen zu lassen und ein Zertifikat für ihn in Santiago zu erwerben, das er seiner Frau zusenden wolle. Er war zuvor beim Pfarrer von Sarrià gewesen und hatte ihn gebeten, am Abend eine Messe für Werner lesen zu lassen. Tanja hatte Werners Frau telefonisch mitgeteilt, dass ihr Mann gestorben sei und dass eine Messe für ihn gelesen werde.
    Kurz vor halb acht gingen Tanja, Michael und ich zur Kirche. Die Predigt des Pfarrers in spanischer Sprache war sehr bewegend. Als er Werners Name aussprach, verfiel Michael in ein lautes Weinen. Leute drehten sich um und schauten ihn an. Nun konnten auch Tanja und ich unsere Tränen nicht mehr

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